Die Träume der Libussa (German Edition)
aufwändige Gebäude zu
errichten. Die Eingangstore waren mit Schnitzereien verschönert,
Menschenfiguren aus Stein schmückten die Vorplätze, und auf jenen breiten
Pfaden, die sich an den Gebäuden vorbeizogen, hatte man glatte Steine
ausgelegt, damit es sich einfacher laufen ließ. Unmengen von Menschen in
seltsamer Kleidung eilten dort entlang. Sie schienen gar nicht zu merken,
welche Pracht sie umgab.
Erst als
Libussa die Augen wieder öffnete, begriff sie, wie schnell der Fluss sie
dahintrieb. Premysl war nicht mehr zu entdecken. Sie begann zu schwimmen, doch
die Strömung riss sie weiter mit. Mit aufsteigender Panik kämpfte sie gegen das
Wasser. Auf einmal war es ihr Feind geworden. Sie klammerte sich an das Geäst
eines umgestürzten Baumes und ihre Hände bluteten, als es ihr endlich gelang,
sich ans rettende Ufer zu ziehen.
Ihr Herz
hämmerte und sie rang nach Atem. Wie hatte sie so dumm, so unvorsichtig sein
können? Sie strich sich das triefende Haar aus dem Gesicht. Ihre Kleidung lag
noch dort, wo sie mit Premysl ins Wasser gesprungen war. Sie würde nackt am
Ufer entlanglaufen müssen und hoffte darauf, niemand zu begegnen. Dabei war sie
sich nicht einmal sicher, ob sie mit dem Fluss nicht bereits an Chrasten vorbei
getrieben war. Dann müsste sie, entblößt und nass, zur Festung zurückkehren.
Verstört sah sie sich um. Am anderen Ufer ragten die Wachtürme von Chrasten
empor. Erleichterung vermischte sich mit Schrecken. Vielleicht hatten die
Wächter sie bereits im Wasser gesehen und bald schon würde Hilfe eintreffen.
Wenn es ihr nur gelänge, wenigstens ein paar Felle zu finden, um sich zu
bedecken! Suchend ließ sie ihren Blick umherschweifen.
Plötzlich
glaubte sie wieder zu träumen. Zwar fehlten die steinernen Gebäude, doch
erkannte sie die Umrisse des Hügels. Fassungslos wandte sie sich zurück zum
Fluss. Er machte eine Biegung genau an jener Stelle, wo es ihr endlich gelungen
war, sich aus den Fluten zu befreien. Warum gerade hier? Die reißende Strömung
hatte sie zu dem Ort aus ihrem Traum getrieben. Das Summen in ihren Ohren
verwandelte sich in eine feine, verspielte Melodie, die bisweilen aus dem
Inneren der großen Bauten erklungen war.
Hufgetrappel
schreckte sie auf. Sie suchte nach einem Baum, hinter dem sie sich vor
Unbekannten oder auch vor den Wächtern von Chrasten verstecken könnte, doch
bald schon sah sie zu ihrer großen Erleichterung Premysl auf seinem Pferd.
Hinter ihm galoppierte Steka.
„Bist du völlig
von Sinnen? Ich habe einen Augenblick nicht darauf geachtet, was du machst, und
schon treibst du mit der Strömung davon. Bringt man euch Fürstentöchtern nicht
bei, wie gefährlich ein reißender Fluss sein kann?“
Zum ersten Mal
seit sie sich kannten wirkte er ernsthaft zornig, doch Libussa war nicht nach
einem Streit zumute. Sie eilte ihm entgegen. „Hast du meine Kleidung
mitgebracht?“
„Ich hatte
wirklich Wichtigeres zu tun. Ich dachte, es würde mir nicht gelingen, dich
einzuholen.“
Er sprang vom
Pferd und erdrückte sie fast in seiner Umarmung. „Libussa, ich glaubte, du
würdest ertrinken.“ Seine Stimme klang heiser. Sie sah Tränen in seinen Augen
und streichelte sein Gesicht.
„Du siehst, ich
lebe noch.“
Er zog seine
Tunika aus. „Hier, du frierst sicher. Jetzt lass uns zurückgehen und deine
Kleider holen. Dann reiten wir nach Chrasten zurück. Es ist nicht weit von
hier, am anderen Ufer. Ich bin daran vorbeigeritten, als ich dich einholen
wollte. Vielleicht haben die Wachen dich im Wasser gesehen und es ist schon
Hilfe unterwegs. Du brauchst eine heiße Suppe. Wenn wir in unserer Kammer sind,
wärme ich dich schon auf.“
„Warte einen
Augenblick. Es ist hier.“
„Was ist hier?“
„Der Ort, den
ich in meinen Träumen gesehen habe. Die Biegung des Flusses und dann dieser
Hügel. Genau an diese Stelle hat mich der Fluss hingetrieben. Ich glaube, das
war ein Zeichen der Götter. Wir müssen uns diesen Hügel genauer ansehen.
Vielleicht sollte ich hier wirklich eine Siedlung gründen.“
Er musterte sie
stirnrunzelnd. „Du musst furchtbare Angst gehabt haben. Das kann einen
verwirren. Gehen wir erst einmal zurück. Dann kannst du in Ruhe nachdenken.“
Sie widersetzte
sich seinen Armen, die sie in Stekas Richtung führen wollten. „Ich brauche
nicht nachzudenken. Sieh doch!“
Sein Blick
folgte der Richtung, die ihre Hand ihm zeigte. Verwirrt blieb er stehen.
„Es kann Zufall
sein, dass du gerade hier ans Ufer gekommen
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