Die Träume der Libussa (German Edition)
mit den Jahren wurde es unmöglich, sie zu
töten. Diese drei, die noch übrig sind, habe ich selbst aufgezogen. Sie
sprechen mit mir, wisst ihr. Abends beim Feuer unterhalten wir uns alle
darüber, was wir am Tag erlebt haben.“
Sein Lächeln
war das eines Kindes. Aber er musste ein Verbrecher sein, sonst hätte man ihn
nicht verbannt. Libussa hatte zu frieren begonnen. Der alte Mann merkte es
wohl, denn er machte sich an der Feuerstelle zu schaffen. Vielleicht suchte er
auch nur nach Beschäftigung. Nach vielen Jahren der Einsamkeit schien die
Gegenwart von Menschen ihn zu verunsichern.
„Wovon lebst du
hier, wenn du deine Tiere nicht schlachten willst?“, fragte Premysl.
Der Alte wies
auf eine Steinschleuder sowie Pfeil und Bogen in einer Ecke der Hütte. „Ich
jage im Wald.“
„Und das Feld
vor deiner Hütte?“, bohrte Premysl weiter nach.
„Dort baue ich
an. Was sonst? Gemüse und Getreide.“
„Sind die
Erträge gut?“
Der alte Mann
drehte sich langsam zu ihnen um. Sein Gesicht wirkte niedergeschlagen.
„Ich habe immer
gewusst, dass eines Tages jemand kommen würde, der hier ebenfalls leben will.
Es ist nicht weit weg von den anderen Siedlungen, aber die Erde hier ist
unverbraucht. Ja, die Erträge sind gut. Im Wald lebt viel Wild, das einen
ernähren kann. Es gibt einen Bach in der Nähe, wo ich Wasser hole, denn am
Fluss bin ich von Weitem schon zu entdecken. Das kann gefährlich sein. Manchmal
ziehen Händler dort vorbei. Wenn ich sie sehe, winke ich ihnen zu, und mache
ein paar Tauschgeschäfte mit meinen Fellen. Das ist ein sehr geeigneter Ort, um
sich niederzulassen.“
Er verstummte
und senkte den Blick, als gäbe es nichts mehr zu sagen. Libussa war plötzlich
unwohl zumute. Sie fühlte sich wie ein unerwünschter Eindringling.
„Nach so vielen
Jahren allein im Wald wärst du doch sicher froh über etwas Gesellschaft?“,
fragte sie unsicher. Der alte Mann setzte sich seufzend auf den Boden. „Ich
habe nichts Verwerfliches getan, Mädchen. Auch wenn ich in deinen Augen sehe,
dass du mich für einen Verbrecher hältst. Du hast ein sehr offenes,
freundliches Gesicht und gibst dir sogar Mühe, deinen Verdacht zu verbergen. Du
erscheinst mir so gutmütig und vertrauensselig, wie ich auch einmal gewesen
bin. Aber hüte dich vor den Menschen.“
„Was ist dir
geschehen?“, fragte Premysl.
Der Alte senkte
seinen Blick. „Ein Nachbar verleumdete mich im Dorf. Ihm gefiel meine Frau, und
ihr Hof, der größte im Dorf, gefiel ihm noch besser. Meine Frau hatte ein Kind
geboren, ein Mädchen. Ich war nicht der Vater. Sie hat es mir nicht
verschwiegen. Ich wusste, dass sie ein Recht auf ihre Freiheit hatte, und war
selbst bei anderen Frauen gelegen, doch es schmerzte mich trotzdem. Eines
Abends, nach zu vielen Bechern Met, erzählte ich meinem Nachbarn davon. Bald
darauf war das kleine Mädchen tot und ich galt als der Mörder. Ihr müsst mir
nicht glauben. Ich weiß, die meisten Verurteilten beteuern ihre Unschuld. Aber
mir ist danach die Lust auf menschliche Gesellschaft vergangen. Meine Tiere
reichen mir. Ich weiß, ihnen kann ich trauen. Wenn ihr mit anderen Menschen
hierherkommt, dann lasst mir meine Hütte und meinen Frieden. Ich werde die
Hütte ausbessern, damit niemand denkt, sie sei unbewohnt, und sich in ihr breit
machen will.“
„So soll es
sein“, erklärte Premysl und stand auf. „ Ich glaube, wir gehen jetzt besser“,
meinte er zu Libussa.
Sie stiegen den Hügel hinab und
gingen zurück zu den Pferden. „Die Gegend ist bestens geeignet für eine
Siedlung“, meinte Premysl. „Fruchtbarer Boden und Wild. An dieser Biegung des
Flusses kann man einen Marktplatz für fahrende Händler errichten. Dadurch
kommen Waren in den Ort.“
Libussas
Tatendrang hatte nachgelassen. „Meinst du wirklich, es ist ein gutes Vorhaben?
Der alte Mann wäre gern allein.“
Premysl legte
seinen Arm um ihre Schulter. „Früher oder später kommt jemand auf die Idee,
sich hier niederzulassen. Unverbrauchtes Land in der Nähe von Chrasten, das
zieht Menschen an. Er hat es immer geahnt. Du kannst ihm Sonderrechte
einräumen, damit er seinen Frieden hat. Andere würden nicht so freundlich mit
ihm verfahren.“
Sie nickte.
„Aber warum soll ich als Fürstin meine Leute auffordern, den Wald hier zu roden
und Felder anzulegen? Die Bauern haben doch bereits ihre Dörfer.“ Jetzt, wo ihr
Traum seinen Niederschlag in der Wirklichkeit fand, fühlte sie sich auf einmal
unsicher und
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