Die Träume der Libussa (German Edition)
verwirrt.
„Ich sagte doch
bereits, dass die Dörfer übervölkert sind. Ich kann Freiwillige auftreiben. Vor
allem jetzt, da die fürstlichen Clans uns Bauern immer mehr ausbeuten wollen.
Ich lege mein Wort für dich ein, Libussa, und viele werden in deiner Siedlung
leben wollen. Ich habe Freunde, die auf meinen Rat vertrauen. In ein paar
Jahren hast du hier eine Festung, die von Hütten umgeben ist. Wir bauen auch
einen Schrein für die Götter. Es muss einen Grund geben, warum du von einer
Siedlung an diesem Ort träumtest und der Fluss dich heute hierher getragen
hat.“ Die Begeisterung in seiner Stimme wirkte ansteckend. Sie spürte seinen
Drang, sich als nützlich zu erweisen, und ergriff dankbar seine Hand.
„Bis Onkel Krok
wieder aus Mähren zurück ist, könnte schon ein Teil der Siedlung stehen. Dann
klingt mein Traum nicht mehr wie ein Hirngespinst.“ Das Glücksgefühl kehrte
zurück, auch wenn sie keine Traumbilder mehr sah und die Melodien verstummt waren.
Ihre Vision würde sich nun verwirklichen.
„Außerdem
solltest du dir einen Namen überlegen für deine Siedlung“, sagte Premysl,
während sie auf ihre Pferde stiegen. „Wir könnten sie nach dir benennen.
Libuschin oder so ähnlich.“
Sie dachte an
den alten Mann und verneinte. Leider wusste sie nicht, wie der eigenartige Kauz
hieß. „Auch wenn der alte Einsiedler sich nicht nach Gesellschaft sehnte, nahm
er die unsere hin. Er bat uns über seine Türschwelle und hat uns bewirtet.
Deshalb soll der Ort Praha heißen, wie die Türschwelle, als Zeichen der Achtung
vor seiner Gastfreundschaft. Außerdem gefällt mir dieser Name. Ein jeder
Mensch, der über eine Türschwelle tritt, muss sein Haupt beugen. Ganz gleich,
ob er Fürst, Schamane oder Bauer ist. Das sind die alten Sitten, nach denen
niemand in unserem Volk ein Recht hatte, sich über andere Menschen zu stellen.“
Premysl brachte schon nach einer
Woche einige Dutzend Leute, die bereit waren, sich ein neues Zuhause zu bauen.
Sie begannen, die Bäume auf dem Berg zu fällen, doch ging es sehr langsam
voran. Libussa überredete einige Knechte und Mägde mitzuhelfen, indem sie ihnen
eine gute Stellung in der neuen Siedlung versprach. Ein paar Bäume mehr fielen.
Ihr Ächzen schmerzte in Libussas Ohren.
„Wo soll deine
Festung stehen?“, fragte Premysl nach einigen Wochen. Sie zuckte mit den
Schultern.
„Oben am Gipfel
wie alle Festungen. Der Schrein sollte in der Nähe erbaut werden, damit es kein
so weiter Weg ist zu den Zeremonien.“
„Und wo genau
möchtest du ihn, deinen Schrein?“
Sie wollte
sagen, dass es darauf nicht ankam, doch ein großes, steinernes Gebäude schob
sich vor ihre Augen. Sie sah es in aller Deutlichkeit ein Stück unterhalb des
Gipfels stehen und richtete ihren Arm auf jene Stelle, auch wenn ihr klar war,
dass keiner ihrer Leute einen solchen Bau würde errichten können. Doch es
schien, die Göttin wolle an jenem Ort ein Zuhause haben.
Weitere Wochen
später war der Wald geschrumpft. Libussa brachte den Arbeitern gemeinsam mit
anderen Frauen Nahrung und Wasser. Als die Bäuerinnen anfingen, Wurzeln aus der
Erde zu reißen, damit dort Felder angelegt werden konnten, versuchte sie sich
daran zu beteiligen. Am Anfang stellte sie sich sehr ungeschickt an, und einmal
entglitt ihren Händen eine große Wurzel und sie fiel rücklings zu Boden.
Verlegen nahm sie die unterdrückten Lacher zur Kenntnis.
„Mach dir
nichts draus, die Leute sind dankbar, dass du mit anpacken willst“, versicherte
ihr Premysl, doch sie war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte. Manch
eine Bäuerin hatte abfällig gegrinst, als Libussa sich stöhnend ihre wunden
Hände im Fluss wusch. Jedes Glied ihres Körpers schmerzte, wenn sie sich abends
in einem Zelt zum Schlafen legte, denn um nach Chrasten zu reiten, war sie zu
erschöpft. Oft sehnte sie sich nach der Geborgenheit ihrer Kammer und verstand
nicht, warum eine seltsame Kraft sie am nächsten Tag wieder aufstehen und mit
der Arbeit fortfahren ließ. Es war, als folge sie einer inneren Weisung, die
sie nicht einmal gehört hatte.
Die Festung
wurde aus hölzernen Balken errichtet, die mit einer Mischung aus Lehm und Moos
bestrichen wurden. Sie glich Chrasten sowie allen anderen derartigen Bauten,
denn niemand sah einen Grund, die Konstruktion zu verändern. Ein zweistöckiges
Gebäude wuchs heran, mit dem großen Saal, in dem Libussa ihre Versammlungen
abhalten würde und daneben noch ein paar kleinen
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