Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
jene Förmlichkeit, die sie von juristischen Verfahren erwartete und die bei der Anhörung größtenteils gefehlt hatte. Das Innere des Gebäudes war dunkel und ruhig, viele hölzerne Türen gingen von der riesigen Eingangshalle ab. Wimpel und Tafeln mit Namenslisten hingen an den glatten Wänden aus Stein.
Gemma, die wieder verkleidet war, dank einiger Verbesserungen aber nicht mehr ganz so unbequem, folgte einer Gruppe von Leuten, die den Weg offenbar kannten, auf die öffentliche Gallerie. Vermutlich waren einige von ihnen Laufburschen für die Spieler draußen, für die alles seinen gewohnten Gang ging. Sie war froh, sich unter die Leute mischen zu können - auf diese Weise musste sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem sie nach dem Weg fragte.
Posten in Uniform musterten jeden argwöhnisch, der das Gericht durch die Türen betrat. Einige wurden angehalten und durchsucht, vermutlich nach Waffen, und Gemma begann sich Sorgen zu machen, ob man ihre Verkleidung erkennen würde. Schließlich gab es einige weibliche Merkmale, die sich nur bis zu einem gewissen Grad verhüllen ließen. Als es dann soweit war, wurde sie jedoch nur genau gemustert und durfte passieren. Sie fand einen Platz in der zweiten der langen Bankreihen, die den Balkon füllten. Unter ihr bot sich das Bild, dass Arden ihr am Vorabend geschildert hatte.
Am hinteren Ende des Saals, unter bunten Fahnen mit dem Gildezeichen der Waagschalen im Gleichgewicht, befand sich eine Bank, ähnlich der draußen auf dem Platz. Diese hier, wie auch der davor stehende Tisch, bestand aus glänzend poliertem Holz. Die Waagschalen auf dem Tisch waren aus Messing.
Zu beiden Seiten des Saals und über seine ganze Länge standen zwei Reihen mit langen Holzbänken, die mit Kissen verziert waren. Zwischen den beiden Reihen befand sich eine offene Arena, in deren Zentrum - dem Mittelpunkt des Raumes - eine erhöhte Plattform mit Geländer stand. Dort wird Arden stehen, dachte Gemma mit leicht klopfendem Herzen.
Auf dem Publikumsbalkon wurde gelärmt und geschwatzt, doch Gemma war zu angespannt, um darauf zu achten, was gesagt wurde. Endlich wurde es still, als die Mitglieder der Gilde nacheinander den Saal betraten und ihre vorgesehenen Plätze auf den langen Bankreihen einnahmen. Die rechts von Gemma trugen orangenfarbene, aufsehenerregend leuchtende Roben. Sie werden für Arden streiten, sie sind auf seiner Seite, wusste Gemma und dachte daran, was er ihr erzählt hatte. Die zur Linken trugen ähnliche Roben, allerdings in dunkelblau. Und die sind gegen uns. Sie betrachtete ihre Gesichter und fragte sich, wer wohl geschickt argumentieren konnte und wer leicht zu beeinflussen war, aber das ließ sich unmöglich sagen. Alle waren dreißig Sommer alt - oder mehr, einige sahen sehr alt aus, und ein paar von ihnen mussten sogar an ihren Platz gebracht werden.
Als alle Platz genommen hatten, erschien Arden von unterhalb der Gallerie und schritt zuversichtlich in die Mitte der Arena. Er verneigte sich zu beiden Seiten des Gerichts und vor dem erhabenen Podium, sah jedoch nicht hinauf auf den Balkon, was Gemma gemischte Gefühle verursachte. Einerseits wollte sie nicht, dass ihre Anwesenheit ihn von der bevorstehenden Aufgabe ablenkte, andererseits hätte sie ihm gerne aufmunternd zugelächelt und sich gleichzeitig überzeugt, dass alles in Ordnung war. Sie konnte sich gerade noch beherrschen, nicht zu ihm hinunterzurufen.
Unbemerkt hatten drei Beamte ihren Platz an den Tischen unterhalb der Richterbank eingenommen. Sie waren vermutlich mit den Papieren beschäftigt und bereiteten sich darauf vor, die Einzelheiten der Eingabe und des Urteils festzuhalten. Einer von ihnen erhob sich und erklärte die Verhandlung für eröffnet. Als er die Namen der fünf Richter nannte, die den Vorsitz führen würden, entstand rings um sie ein überraschtes Gemurmel. Lunkett hat also tatsächlich beschlossen, sich einzumischen. Gemma schauderte vor gespannter Erwartung.
Die Richter erschienen und setzten sich auf die ihnen zugedachten Plätze. Gemma betrachtete den in der Mitte. Lunkett war groß, er war in eine grüne Robe gehüllt wie auch die anderen Schiedsrichter. Gerissene Augen blickten aus einem markanten Gesicht. Wie die anderen vier hatte auch er seinen Markierstein auf dem Tisch vor sich abgestellt. Jetzt konnte Gemma erkennen, dass jeder einzelne in der Gestalt eines Tieres, eines Vogels oder eines Wappens geformt war, vermutlich dem Emblem des Ranges oder Standes
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