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Die Träumerin von Ostende

Die Träumerin von Ostende

Titel: Die Träumerin von Ostende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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seinen Erfolgen beim Golf erzählen.
    »Obgleich ich mir eigentlich mehr aus einer Wanderung durch die Natur mache, einem langen Ausritt oder gern ein paar Stunden schwimme, wie heute Mittag. Ich bevorzuge Freuden dieser Art.«
    »Mir geht es genauso«, log ich.
    Ein Holzscheit drohte zu verglühen, und ich nutzte die Gelegenheit, rasch zum Kamin zu gehen.
    »Warum erzählen Sie mir das alles?«, entgegnete ich schroff.
    »Wie bitte?«
    »Warum erzählen Sie mir so persönliche Dinge, wir kennen uns doch gar nicht?«
    Er wandte sich ab, überlegte eine Weile und sah mich dann ernst an.
    »Für mich liegt das auf der Hand …«
    »Für mich nicht.«
    »Wir gefallen einander doch, oder?«
    Jetzt war ich diejenige, die sich abwandte und vorgab zu überlegen, ehe ich ihn fest ansah.
    »Ja, Sie haben recht, es sieht ganz so aus.«
    Ich glaube, in diesem Augenblick – wie auch in den Jahren, die uns noch bleiben sollten – wurde die Atmosphäre, die uns umgab, eine andere.
    Die Klingel zerriss diese Harmonie mit ihrem schrillen Klang. Er verzog das Gesicht:
    »Mein Chauffeur …«
    »Schon?«
    Das Leben ist voller Überraschungen: Mittags kannte ich diesen Mann noch nicht einmal, und in der Dämmerung fiel es mir bereits unendlich schwer, mich von ihm zu trennen.
    »Nein, Guillaume, so können Sie nicht gehen.«
    »Im Hausrock?«
    »Im Hausrock oder worin auch immer, Sie dürfen nicht gehen.«
    »Ich komme wieder.«
    »Versprochen?«
    »Ich schwör’s.«
    Er küsste mir einen Augenblick lang die Hand, ein Augenblick, so reich wie die dreiundzwanzig Jahre, die ich bis dahin gelebt hatte.
    Während er über die Schwelle trat, sagte ich noch:
    »Sie müssen unbedingt wiederkommen, denn ich, ich weiß ja nicht einmal, wer Sie sind.«
    Er kniff die Augen zusammen.
    »Das ist ja das Wunderbare, Sie haben mich nicht erkannt.«
    Dann schloss er die Tür.
    Ich wollte nicht sehen, wie er davonfuhr, und blieb niedergeschlagen hinten in der dunklen Eingangshalle stehen.
    Ich war so aufgewühlt, dass ich seinem letzten Satz keine Beachtung geschenkt hatte; nachts aber, als ich jeden Augenblick unserer Begegnung noch einmal Revue passieren ließ, ging mir dieses »Sie haben mich nicht erkannt« immer wieder durch den Kopf. War ich ihm schon einmal begegnet? Nein, einen Mann von seinem Äußeren hätte ich nicht vergessen. Hatten wir in der Kindheit miteinander verkehrt? Ich hätte den kleinen Jungen nicht in dem Erwachsenen wiedererkannt. Ja, das musste es sein, wir waren früher oft zusammen und hatten uns dann aus den Augen verloren, er hatte mich wiedererkannt, ich ihn nicht, das war die Erklärung für seinen Satz.
    Wer war er?
    So sehr ich auch in meinem Gedächtnis kramte, ich fand keine Spur, die zu Guillaume führte … Und konnte es daher kaum erwarten, ihn wiederzusehen.
    Am nächsten Tag kündigte er sich mit einem Telefonanruf an und fragte, ob er zum Tee kommen dürfe.
    Als er erschien, war ich so beeindruckt von der Eleganz seines Blazers, der Erlesenheit seines Hemdes, dem Schick seiner Schuhe und den vielen Details, die aus dem wilden Mann einen Mann von Welt machten, dass ich das Gefühl hatte, einem Fremden gegenüberzustehen.
    Er bemerkte meine Verlegenheit.
    »Aber, aber, nun sagen Sie nur nicht, Sie bedauern, dass ich meine eigenen Kleider trage. Sonst ziehe ich sofort den Hausrock Ihres Dienstmädchens wieder an, den ich Ihnen hiermit zurückbringe.«
    Er präsentierte mir ein in Seidenpapier eingeschlagenes Wäschestück.
    »Nur keine Drohungen«, sagte ich, »ich werde versuchen, mich an Ihren neuen Anblick zu gewöhnen.«
    Ich führte ihn in den Salon, wo bereits Tee und Gebäck standen. Er schien erfreut über die ihm vertraute Umgebung.
    »Ich musste immerzu an Sie denken«, gestand er, während er sich setzte.
    »Stehlen Sie mir nicht meine Worte, genau das wollte ich Ihnen gerade sagen.«
    Er legte einen Finger auf seinen Mund und wiederholte noch einmal sanft:
    »Ich musste immerzu an Sie denken …«
    »Mein Liebster«, rief ich und begann zu schluchzen.
    Sobald dieser Mann in meiner Nähe war, wusste ich nicht mehr, was ich tat. Warum brach ich in Tränen aus? Um mich in seine Arme zu flüchten? –, was in der folgenden Sekunde auch geschah. Zweifellos … Offensichtlich erwachte, sobald er sich näherte, eine andere, sehr viel weiblichere Frau in mir, die sich geschickt zurechtfand. Ich ließ sie gewähren.
    Nachdem er mich getröstet hatte, löste er sich aus meiner Umarmung, ließ uns,

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