Die Träumerin von Ostende
einen Mann geeignet gewesen wäre, sondern auch nichts in seiner Größe. Plötzlich kam ich auf die Idee, hoch ins Zimmer von Margit zu gehen, meinem Dienstmädchen, einer großen, kräftigen, beleibten Person, und mir, ihre Abwesenheit nutzend, etwas zu borgen.
Schweißgebadet entwendete ich aus ihrem Schrankkoffer das weiteste Kleidungsstück und stieg dann rasch wieder nach unten, um hinter der Tür lauthals zu beteuern:
»Es ist mir entsetzlich peinlich, eine echte Katastrophe. Aber ich habe nur einen Hausrock für Sie, von meinem Dienstmädchen.«
»Es wird schon gehen.«
»Das denken Sie nur, weil Sie ihn nicht gesehen haben. Ich erwarte Sie unten.«
Als er leichtfüßig die Treppe herunterkam, ausstaffiert mit diesem weiten, weißen Baumwollhausrock, Kragen und Ärmel mit Spitzen besetzt – das müssen Sie sich mal vorstellen –, brachen wir in Gelächter aus. Er machte sich über seinen lächerlichen Aufzug lustig, und ich kicherte vor Verlegenheit, da ihn dieses weibliche Kleidungsstück durch den Kontrast noch männlicher erscheinen ließ, noch kraftvoller. Die Größe seiner Hände und Füße verwirrte mich.
»Kann ich kurz telefonieren?«
»Ja. Das Telefon steht dort.«
»Und was soll ich dem Fahrer sagen?«
Erstaunt, dass er einen Fahrer statt jemanden aus seiner Familie anrief, verstand ich seine Frage nicht gleich und erwiderte wie beiläufig:
»Sagen Sie ihm, dass er willkommen ist und auch eine Tasse Tee auf ihn wartet.«
Guillaume bekam daraufhin einen solchen Lachanfall, dass er sich auf die Treppenstufen setzen musste. Ich war hocherfreut, eine solche Wirkung auf ihn zu haben, auch wenn ich nicht recht verstand weshalb. Als er sich wieder erholt hatte, sagte er:
»Nein, ich wollte nur wissen, welche Adresse ich dem Fahrer nennen muss, damit er mich findet.«
»Villa Circé, Rue des Rhododendrons Nr. 2, Ostende.«
Um meinen Irrtum wiedergutzumachen und ihm zu beweisen, dass ich wusste, was sich gehört, ließ ich ihn allein telefonieren und ging in die Küche, wo ich mir geräuschvoll zu schaffen machte, er sollte wissen, dass ich nicht lauschte, ich trällerte sogar leise vor mich hin, während ich mit dem Teekessel, den Löffeln und Tassen hantierte.
»Wenn Sie Tee kochen, hört sich das an, als seien die Schlagzeuger eines Symphonieorchesters am Werk.«
Ich erschrak, als ich sah, dass er in der Tür stand und mich beobachtete.
»Haben Sie Ihre Familie erreicht? Sind sie jetzt beruhigt?«
»Sie waren nicht beunruhigt.«
Wir gingen zurück in den Salon.
»Schreiben Sie, Emma?«
»Wozu diese Frage? Das fragen mich alle!«
»Sie lesen offenbar viel.«
»Ich habe einige Gedichte verbrochen, aber jetzt reicht es, ich höre damit auf. Lesen und Schreiben haben nichts miteinander zu tun. Frage ich Sie etwa, ob Sie eine Frau werden, nur weil sie Frauen lieben? Nun, Ihre Frage ist genauso absurd.«
»Mag sein, aber woher wissen Sie, dass ich Frauen liebe?«
Ich schwieg. Wie peinlich! Abermals hatte ich ungewollt erotische Anspielungen gemacht. Wann immer dieser Mann sich weniger als drei Meter von mir entfernt aufhielt, konnte ich nicht anders, als mit ihm zu flirten.
»Ich vermute es«, flüsterte ich und sah auf den Boden.
»Denn eigentlich sagt man mir das gar nicht nach«, fuhr er leise fort. »Meine Brüder und meine Cousins sind weit größere Schürzenjäger als ich. Sie werfen mir vor, ich sei brav, viel zu brav.«
»Ach ja, und warum sind Sie so brav?«
»Zweifellos, weil ich mich für eine Frau aufhebe. Die richtige. Die wahre.«
Ich hatte doch tatsächlich zunächst gedacht, dieser Satz sei an mich adressiert. Als ich meinen Irrtum bemerkte, versuchte ich sofort, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Sie werden mir nicht weismachen wollen, dass Sie in Ihrem Alter keine … noch immer keine …«
Ich sprach meinen Satz nicht zu Ende, so bestürzt war ich über mich selbst! Ich entblödete mich nicht, einen umwerfend schönen Mann, den ich in Frauenkleider gesteckt hatte, auszufragen, nur weil ich wissen wollte, ob er noch unberührt war!
Er verzog halb verblüfft, halb belustigt den Mund.
»Nein, ich kann Sie beruhigen … Ich habe es getan. Und ich tue es nach wie vor mit Vergnügen. Sie müssen wissen, in meinem Umfeld gab es viele Frauen, die älter waren als ich und noch immer wunderschön und sich einen Spaß daraus machten, mich schon verhältnismäßig früh einzuweihen.«
»Dann bin ich ja beruhigt«, seufzte ich, als würde er mir von
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