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Die Träumerin von Ostende

Die Träumerin von Ostende

Titel: Die Träumerin von Ostende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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Gespräch, sie wollen es hinter sich bringen, bevor sie mit einer Frau ins Bett gehen, schließlich wollen sie belohnt werden, danach allerdings wird der gebildete Mann mit Geschmack wieder kritisch, oder?«
    Ich senkte den Kopf, was sollte ich sagen, es stimmte.
    Sie strich mit ihren Händen über ihre Knie und glättete die Falten ihres Rockes.
    »Diese Zeit mit den Geliebten war, obgleich anstrengend, auch durchaus spannend, denn sie lehrte mich, wie man Menschen geschickt auseinanderbringt. Und ob! Ich flüsterte Guillaume ein, was genau er diesen Frauen sagen sollte, wenn er sie verließ. Ich habe Worte ersonnen, Sätze, die sie perplex machten, ihnen die Sprache verschlugen. Ein Schnitt musste vollzogen werden, sauber, unmissverständlich, ein für alle Mal, ohne Weg zurück und ohne Selbstmord.«
    »Und?«
    »Es ist uns gelungen.«
    Ich ahnte, dass wir jetzt auf das düsterste Kapitel dieser Geschichte zu sprechen kommen würden, das ihres Endes. Auch Emma van A. spürte es.
    »Ein Glas Portwein?«
    »Gern.«
    Ein kleines Ablenkungsmanöver, das uns erlaubte durchzuatmen, ehe Emma van A. weitererzählte. Sie genoss den Süßwein, hatte es nicht eilig, zum Schluss zu kommen, war vielmehr bestürzt, dass er so nahe war.
    Unvermittelt wandte sie mir ihr Gesicht zu, sie sah ernst aus.
    »Mir war dennoch klar, dass es für uns kein Zurück mehr gab. Wir hatten das Ende, so weit es ging, hinausgezögert, hatten alle Hindernisse umschifft, nun aber war es an der Zeit, dass er heiratete und Kinder bekam. Ich wollte ihn lieber zurückweisen, als von ihm verlassen zu werden. Stolz … Ich hatte Angst, Angst vor diesem Augenblick, da ich nicht mehr seine Angebetete, sondern seine Mutter sein würde, ja, seine Mutter … Wer, außer einer Mutter, drängt schon einen Mann zur Ehe und zu Kindern, wo sie ihn doch am liebsten für sich behielte?«
    Ihre Augen wurden feucht. Selbst jetzt, Jahrzehnte später, übermannte sie noch das gleiche Widerstreben.
    »Oh, ich war nicht bereit, Guillaumes Mutter zu werden! … Nicht eine Sekunde lang – ich liebte ihn zu sehr, zu leidenschaftlich. Daher beschloss ich zu handeln, so zu tun als ob.«
    Sie schluckte. Dies zu erzählen fiel ihr sichtlich so schwer wie seinerzeit das Handeln.
    »Eines Morgens erklärte ich ihm, dass ich ihn dorthin zurückbringen müsse, wo ich ihn einige Jahre zuvor gefunden hatte – in die Dünen. Guillaume verstand sofort. Er weigerte sich, bat mich inständig, noch damit zu warten. Er weinte, warf sich zu Boden. Ich blieb hart. Wir gingen zu dem Platz, an dem er mir begegnet war, breiteten Decken auf dem Sand aus und liebten uns, ungeachtet des feuchten, tristen Wetters, zum letzten Mal. Und zum ersten Mal, ohne auf unser Brevier der Lüste zurückzugreifen. Ich kann nicht genau sagen, ob es schön war; es war stark und heftig, wir machten uns nichts vor. Anschließend reichte ich ihm ein Getränk, in das ich ein Schlafmittel gegeben hatte.
    Als er schlafend, nackt und so makellos schön wie am ersten Tag vor mir lag, sammelte ich seine Kleider auf, verstaute sie zusammen mit den Decken in meinem Korb und holte das Diktaphon heraus, das ich Guillaume entwendet hatte.
    Über seinen langen, vor Kälte zitternden Beinen stehend, diktierte ich, während ich meinen Blick über seine muskulösen Hinterbacken wandern ließ, seinen gebräunten Rücken und das gelockte Haar in seinem schlanken Nacken, meinen Abschiedsgruß in das Gerät: ›Guillaume, deine Geliebten habe ich für dich ausgewählt, deine Frau aber wirst du dir selbst auswählen. Du selbst sollst ermessen, in welchem Maße ich dir fehle. Entweder leidest du so sehr unter unserer Trennung, dass du dir jemanden nimmst, der das Gegenteil von mir ist, um jede Spur von mir zu tilgen. Oder aber du willst mich einbeziehen in deine Zukunft und wählst eine Frau, die mir gleicht. Ich weiß nicht, was werden wird, mein Liebster, ich weiß nur, dass es sein muss, auch wenn es mir widerstrebt. Wir dürfen uns unter keinen Umständen wiedersehen, darum bitte ich dich inständig. Bedenke, dass Ostende am Ende der Welt liegt und somit unerreichbar ist … Quäle mich nicht mit dieser Hoffnung. Ich werde dir meine Tür nie mehr öffnen, ich werde auflegen, wenn du mich anrufst, und die Briefe zerreißen, die du mir schickst. Wir werden umeinander leiden müssen, wie wir füreinander gebrannt haben, maßlos, mit Haut und Haaren. Ich werde nichts aufbewahren von dir. Heute Abend vernichte ich alles. Doch hat

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