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Die Träumerin von Ostende

Die Träumerin von Ostende

Titel: Die Träumerin von Ostende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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es nichts zu bedeuten, niemand kann mir meine Erinnerungen nehmen. Ich liebe dich, unsere Trennung ändert nichts daran. Dank deiner hat mein Leben einen Sinn. Lebe wohl!‹ Ich lief eilig davon. Zu Hause angekommen, benachrichtigte ich Guillaumes Adjutanten, damit er ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit vom Meer abholte, anschließend warf ich unsere Briefe und Fotos ins Feuer.«
    Sie dachte nach, ehe sie sagte:
    »Nein, ich habe gelogen. Im entscheidenden Moment konnte ich mich dann doch nicht von seinen Handschuhen trennen. Sie müssen verstehen, seine Hände …«
    Ihre steifen alten Finger streichelten eine imaginäre Hand …
    »Am nächsten Tag schickte ich ihm einen Handschuh, den anderen legte ich in meine Schublade. Ein Handschuh ist wie eine Erinnerung. Ein Handschuh bewahrt die Form der Hand wie die Erinnerung die der Wirklichkeit; ein Handschuh ist so weit vom Fleischlichen entfernt wie die Erinnerung von der vergangenen Zeit. Ein Handschuh ist aus Sehnsucht gewirkt …«
    Sie schwieg.
    Ihr Bericht hatte mich in eine so ferne Welt versetzt, dass ich ihn nicht mit banalen Worten stören wollte.
    Und so verharrten wir eine Weile in der Dichte der Zeit, winzig zwischen all den Büchern, im bald von Lampen gelb erleuchteten Dunkel. Draußen wütete das Meer.
    Schließlich ging ich zu ihr, ergriff ihre Hand, küsste sie und murmelte:
    »Danke.«
    Sie sah mich mit einem erschütternden Lächeln an, wie eine Sterbende, die fragt: »Mein Leben war doch schön, oder?«
    Ich ging hoch in mein Zimmer und streckte mich wohlig auf meinem Bett aus. Emma van A.s Geschichte gab meinen Träumen solche Nahrung, dass ich am nächsten Morgen nicht recht wusste, ob ich geschlafen hatte oder nicht.
     
    Um halb zehn stand Gerda mit dem Frühstück im Flur und beharrte darauf, es mir ans Bett zu bringen. Ehe sie flink die Vorhänge aufzog, stellte sie mir das Tablett mitten aufs Federbett.
    »Meine Tante hat dir gestern ihr Leben erzählt, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Und das den ganzen Abend lang?«
    »Ich begriff, dass sich Gerda einzig aus Neugierde so gefällig zeigte.
    »Tut mir leid, Gerda. Ich habe geschworen, nichts weiterzutragen.«
    »Schade.«
    »Jedenfalls ist Ihre Tante alles andere als eine ahnungslose alte Jungfer, Sie täuschen sich.«
    »Ach ja? Mein armes Tantchen, ich hab tatsächlich geglaubt, die ist nie dem Wolf begegnet und stirbt als Jungfrau!«
    »Nein, ganz und gar nicht.«
    »So was aber auch! Ich bin platt …«
    »Warum waren Sie sich da so sicher?«
    »Na ja, ihr Gebrechen …«
    »Einen Augenblick! Der Schlaganfall, der sie an den Rollstuhl gefesselt hat, den hatte sie doch erst vor fünf Jahren …«
    »Nein, ich rede von ihrem Gebrechen. Vor ihrem Schlaganfall war Tante Emma zwar nicht gelähmt, aber auch nicht gerade gut zu Fuß. Die Ärmste! Sie hatte sich eine Knochentuberkulose zugezogen, damals, als man noch nicht die Medikamente hatte wie heute. Sie hatte es an der Hüfte. Wie alt sie war? Zwanzig. Deswegen ist sie auch aus Afrika fort. Und hierher ins Krankenhaus gekommen … Sie haben sie mit einem Streckbrett behandelt, ganze achtzehn Monate lang, im Sanatorium! Als sie dann in die Villa nach Ostende zog, war sie dreiundzwanzig und ging an Krücken. Bei den Kindern hieß sie nur ›die Lahme‹. Kinder sind böse, dumm und erbarmungslos! Sie war nämlich hübsch, meine Tante, sehr hübsch sogar. Aber wer hätte schon eine junge Frau gewollt, die hinkte? Beim kleinsten Schritt knickte sie dermaßen stark, mal in der einen, mal in der anderen Hüfte ein, dass einem angst und bange wurde. Der Alltag wurde erst einfacher, als sie nach ihrem Schlaganfall endlich einen Rollstuhl akzeptierte. Aber dien mal einer Dreiundzwanzigjährigen einen Rollstuhl an … Man muss die Dinge doch mal beim Namen nennen: Es ist zum Erbarmen! Nun ja, umso besser, wenn sich dann doch noch ein braver Bursche aufgeopfert hat …«
    Angewidert von dieser Vorstellung zuckte sie mit den Schultern und verließ den Raum.
    Nachdenklich verschlang ich das deftige flämische Frühstück, duschte rasch und ging anschließend hinunter zu Emma van A., die mit einem Buch auf den Knien, der Bucht zugewandt, dasaß und sinnend in die Wolken blickte.
    Sie errötete leicht, als sie mich sah. Die Reaktion einer Frau, die sich offenbart hat. Ich spürte, dass ich sie beruhigen musste.
    »Ich habe in Gedanken an Ihre Geschichte eine wunderbare Nacht verbracht.«
    »Umso besser. Es hat mir im Nachhinein leidgetan, dass ich Sie

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