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Die Träumerin von Ostende

Die Träumerin von Ostende

Titel: Die Träumerin von Ostende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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Vielleicht waren Sie eifersüchtig.«
    »Lächerlich.«
    »Hat er Sie betrogen?«
    »Ziehen Sie ihn nicht durch den Schmutz.«
    »Wer beerbt Ihren Mann?«
    »Niemand. Er war mittellos. Das ganze Vermögen gehört mir. Zudem hatten wir Gütertrennung.«
    »Sein Name lässt immerhin auf eine gute Familie schließen …«
    »Jawohl, Gabriel de Sarlat, so etwas beeindruckt die Leute. Sie glauben, ich hätte ein Vermögen geheiratet, dabei war es nur ein Adelsprädikat. Mein Mann besaß nicht einen Heller und hat nie wirklich gewusst, wie man zu Geld kommt. Unser Vermögen stammt von mir, genauer von meinem Vater, Paul Chapelier, dem Dirigenten. Durch das Hinscheiden meines Mannes verbessert sich meine finanzielle Lage nicht; sie verschlechtert sich höchstens. Er transportierte die Antiquitäten, die wir im Laden verkauften, für gewöhnlich mit seinem Lieferwagen, und wenn ich weitermachen will, muss ich eine Kraft zusätzlich einstellen.«
    »Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
    »Ich tue nichts anderes, Monsieur.«
    »Maître …«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich habe keinerlei Nutzen durch den Tod meines Mannes. Für ihn wäre mein Tod vielleicht von Vorteil gewesen.«
    »Hat vielleicht
er
versucht,
Sie
in dieser Absicht in den Abgrund zu stoßen?«
    »Sind Sie verrückt?«
    »Überlegen Sie. Wir könnten diese These glaubhaft vertreten. Auf dem Bergpfad beschließt er, sich Ihrer zu entledigen, um in den Besitz Ihres Geldes zu kommen. Sie verteidigen sich, stoßen ihn zurück. Aus Notwehr.«
    »Gütertrennung! Er hätte nichts bekommen bei meinem Tod, nicht mehr als ich bei seinem. Warum erfinden Sie solche Szenarien?«
    »Weil jemand Sie gesehen hat, Madame! Der Hirte, der dort seine Herde hütete, gibt zu Protokoll, dass Sie sich auf Ihren Mann gestürzt und ihn in die Tiefe gestoßen haben.«
    »Er lügt.«
    »Warum sollte er lügen? Was hätte er davon?«
    »Also, das ist schon merkwürdig … Wenn ich Ihnen sage, dass es für mich keinerlei Grund gibt, meinen Mann, den ich liebe, zu töten, bezweifeln Sie das, dem Hirten hingegen glauben Sie unter dem Vorwand, dass er keinerlei Grund hätte zu lügen. Sie messen mit zweierlei Maß! Für wen arbeiten Sie eigentlich? Für den Hirten oder für mich? Wirklich unglaublich! Ich kann Ihnen hundert Gründe nennen, weshalb Ihr Hirte lügt: Er möchte sich interessant machen, der Held seines Kantons werden, sich durch mich an einer oder mehreren Frauen rächen, er möchte Unruhe stiften, aus purer Lust, Unruhe zu stiften! Wie weit war er überhaupt entfernt? Fünfhundert Meter? Achthundert Meter? Zwei Kilometer?«
    »Madame de Sarlat, versuchen Sie jetzt nicht statt meiner das Plädoyer zu halten. Die Zeugenaussage des Hirten belastet uns schwer: Er hat Sie gesehen!«
    »Ja und? Ich habe ihn nicht gesehen.«
    Maître Plissier schwieg und sah Gabrielle eindringlich an, er setzte sich neben sie und strich sich sorgenvoll über die Stirn.
    »Darf ich das als Geständnis betrachten?«
    »Was?«
    »Bevor Sie Ihrem Mann den Stoß versetzten, haben Sie sich umgesehen und niemanden bemerkt. Das genau haben Sie mir hiermit doch gesagt, oder?«
    »Monsieur, ich versuche, Ihnen klarzumachen, dass ich mich nach dem Sturz meines Mannes umgesehen und laut gerufen habe, weil ich nach Hilfe suchte. Ihr großartiger Hirte hat sich weder gezeigt noch reagiert. Das ist doch irgendwie seltsam! Wenn er die Bergwacht alarmiert hätte oder zu meinem Mann gegangen wäre, dann vielleicht … Wenn er mich belastet, dann doch wohl eher, um sich selbst zu schützen, oder?«
    »Wovor?«
    »Unterlassene Hilfeleistung für eine Person in Gefahr. Ich spreche da primär von meinem Mann. Und in zweiter Linie von mir.«
    »Keine schlechte Idee, um den Sachverhalt zu verdrehen, dennoch behalte ich diese Art der Argumentation mir vor. Wenn Sie sich so äußerten, wirkte das fragwürdig.«
    »Ach ja? Man bezichtigt mich einer abscheulichen Tat, aber ich darf keinen zu schlauen Eindruck erwecken, wirklich reizend!«
    Gabrielle tat verärgert, im Grunde aber war sie zufrieden. Sie wusste jetzt, wie sie ihren Anwalt manipulieren konnte.
    »Ich werde ihn vor Gericht schleppen, diesen Hirten, und zwar höchstpersönlich!«
    »Im Augenblick sind eher Sie die Person, gegen die ermittelt wird, Madame.«
    »Ich bin stundenlang bergab gerannt, ehe ich auf Wanderer stieß und Hilfe holen konnte. Ihr Hirte, wenn er meinen Mann hat abstürzen sehen, warum ist er ihm da nicht zu Hilfe geeilt? Warum

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