Die Trasse von A'hi-nur
Gesicht, das Inge daraufhin machte, hatte ich überhaupt noch nicht gesehen, und dabei habe ich seinerzeit im Praktikum schon Eisberge gesprengt. Inge hatte mindestens hundert Grad minus, und das in der Wüste!
»Er ist krank!« sagte sie leise, aber doch andeutungsweise in dem Ton, in dem Tropengewitter zu donnern pflegen.
Ich erzähle das in diesem saloppen Ton, weil es nicht gerade rühmlich ist für mich und weil hier der Ausgangspunkt war für manche Albernheiten, die ich mir in der Folgezeit leistete. Auf gut deutsch: es macht mich heute noch so verlegen wie damals, nur daß ich seinerzeit eben nicht mit Selbstironie, sondern mit einem finsteren Gesicht darauf reagierte. Ich forderte Inge mit einer Kopfdrehung auf, mir in die Küche zu folgen, die in einem der Rümpfe unseres Gleiters untergebracht war.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, daß ich unser Lager noch gar nicht im einzelnen beschrieben habe, und ich benutze diesen Umstand nur zu gern, um mich noch ein paar Minuten vor dem Bericht über die Auseinandersetzung mit Inge zu drücken.
Das Zentrum des Lagers bildete unser Wohnzelt, weiß von außen, mit sechs mal fünf Meter Grundfläche und zweieinhalb Meter Höhe. Wie schon berichtet, wurde es durch Luftdruck gehalten, und die Luft, die zum Druckausgleich ständig zugeführt wurde, war vorgekühlt und hielt tagsüber im Innern eine erträgliche mitteleuropäische Sommertemperatur aufrecht. Im Zelt standen Tische, Stühle, Liegen, alles farbig und zusammenlegbar, und ein Schrank mit den wichtigsten Büchern und Arbeitsgeräten für mich. Das Zelt diente uns als Speisesaal, Arbeitszimmer, Klub- und Ruheraum – letzteres vor allem unter Mittag.
Rechts und links vom Zelt standen die beiden Gleiter, deren Doppelrümpfe, sonst Laderaum, nun ebenfalls eine bestimmte Wohn- oder Arbeitsfunktion hatten. Im ersten Wagen, den Inge und ich gefahren hatten, befanden sich auf der einen Seite die Küche und die Speisekammer, auf der anderen Seite die Schlafkojen und die sanitären Einrichtungen, vor allem das »Bad«. Der Verschlag mit diesem hochtrabenden Namen zeichnete sich durch einen Umstand aus, dessen sich solche Einrichtungen sonst eher schämen als rühmen würden: Es gab darin fast kein Wasser. Das gewohnte Waschen mit Wasser war hier, in der Wüste, ersetzt durch einen umfangreichen und komplizierten Ritus aufeinanderfolgender Anwendungen von Salben, ätherischen Ölen, Luftduschen und Abreibungen mit Antistatiktüchern. Dieser Vorgang erzielte im ganzen den gleichen oder einen noch besseren Effekt als das Waschen mit Wasser und war hier vor allem immer noch billiger als der Transport von ausreichenden Wassermengen bis in unser Lager.
In dem anderen Gleiter befanden sich einerseits die Reparaturwerkstatt, andererseits die Energiezentrale des Lagers.
Bliebe noch zu erwähnen: die Energiestation, zwanzig Schritt entfernt, hauptsächlich bestehend aus den Absorberschirmen, die das Sonnenlicht in elektrische Energie verwandelten, und das Materiallager, etwas weiter entfernt, ein großes Zelt voll von Duritrohren, Kabeln, Ersatzteilen und vor allem Sprengstoff.
Und da ist nun das Stichwort: Sprengstoff gab es nicht nur im Materiallager, sondern, wie sich herausstellte, auch in den Beziehungen zwischen Inge und mir.
»Ich möchte einiges mit dir besprechen«, sagte ich, als wir in der Küche Platz genommen hatten. »Das wird man ja wohl noch ohne allerhöchste Genehmigung tun dürfen.«
»Was ist dir eigentlich für eine Laus über die Leber gelaufen?« fragte Inge, nun schon etwas gereizt. »Verträgst du es nicht, wenn einer in der Nähe ist, der mehr zu sagen hat als du?«
Da das weder ganz wahr noch – leider – ganz falsch war, brachte es mich besonders auf. Ich hatte eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber zum Glück sah ich in diesem Augenblick, wie draußen die beiden Zwillinge dem Zelt zustrebten. Ich machte das Fenster auf und rief ihnen zu, sie sollten in den anderen Gleiter gehen.
»So, und nun wollen wir die Bestelliste für die Zentrale fertig machen«, sagte ich zu Inge, »wir brauchen…«
Aber Inge machte keine Anstalten, zu Block und Bestellcode zu greifen. »Ist was?« fragte ich, als ob ich nicht wüßte, was war.
»Ich hatte dich eben etwas gefragt«, antwortete sie entschlossen. »Das war keine rhetorische Frage. Ich will eine Antwort haben.« Und dann, etwas milder, fuhr sie fort: »Wir haben doch bisher gut zusammengearbeitet, was ist denn plötzlich los mit
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