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Die Trasse von A'hi-nur

Die Trasse von A'hi-nur

Titel: Die Trasse von A'hi-nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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einmal mehr.

Achmeds Erzählungen
    »Noch Mitte der fünfziger Jahre«, berichtete Achmed, »war man allgemein der Auffassung, daß die Menschheit sich vor längstens einer Million Jahre aus dem Tierreich gelöst habe und die Entwicklung der Hominiden, also des Menschen und seiner nächsten stammesgeschichtlichen Vorfahren, höchstens fünf Millionen Jahre zurückreiche. Da entdeckte Professor Dr. Louis B. Leakey in Ostafrika Knochen von Männern, Frauen und Kindern, deren Alter zwischen neunzehn und zwanzig Millionen Jahren lag.
    An sich hat das mit unserem Gegenstand nicht unmittelbar etwas zu tun. Aber ich möchte, daß Sie verstehen, welche ungeheuer belebende Wirkung auf die vorgeschichtliche Forschung von dieser Entdeckung ausging. Plötzlich eröffneten sich riesige Zeiträume menschlicher Entwicklungsgeschichte, von deren Vorhandensein niemand etwas geahnt hatte. Auf der Landkarte der menschlichen Geschichte zeichneten sich plötzlich riesige weiße Flecken ab, ja, man könnte, um im Bild zu bleiben, sagen: die Umrisse ganzer unentdeckter Kontinente. Und wenn die meisten davon auch sicherlich noch nicht vom Homo sapiens bevölkert waren, so blieb doch genügend Raum für ganze, bisher unbekannte Geschichtsepochen, die zu erforschen allen Prähistorikern als neues, lohnendes Ziel erscheinen müßte.
    Hinzurechnen müssen Sie zu der allgemein-wissenschaftlichen Bedeutung dieser Frage, daß die damals noch jungen afrikanischen Staaten, die sich eben vom Kolonialismus befreit hatten, auch aus solchen Forschungen Kraft zogen für die Festigung eines nationalen Selbstbewußtseins. Und noch heute spielt das eine Rolle, obwohl wir die engen nationalen Grenzen im Denken längst überwunden haben. Denn Sie werden doch zugestehen müssen, daß hier, wo es um die Vergangenheit meines Volkes geht, Ihre Gefühle für unsere Entdeckung nicht so intensiv sein können wie meine – oder?«
    Ich durchschaute Achmeds Absicht. Er wollte Widerspruch hören – Widerspruch, der uns moralisch binden würde. Und er bekam ihn auch, nicht von mir, an den er vielleicht in erster Linie gedacht hatte, sondern von Inge, die heftig behauptete, daß das Unsinn sei und daß jeder von uns und so weiter – genauso, wie er es hatte hören wollen. Aber er hörte es eben nicht von mir.
    »So?« fragte Achmed gedehnt und wandte sich an mich. »Und Sie?«
    Nun – einerseits hatte ich, bei allem Interesse, durchaus noch nicht die enge Bindung zu diesen Dingen wie heute, andererseits aber reizte es mich, ihn ein bißchen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: mit der diplomatischen Höflichkeit.
    Darum antwortete ich: »Ich wage natürlich nicht zu behaupten, daß mein Herz für diese Dinge mit dergleichen Intensität schlägt wie das Ihre, aber das scheint mir doch mehr an dem Umstand zu liegen, daß ich kaum die ersten zögernden Schritte auf diesem Gebiet unternommen habe, während Sie sich darauf souverän bewegen können. Fragen der Nationalität spielen dabei wohl keine Rolle – eher schon das Temperament.«
    So, dachte ich, nun fang damit etwas an! Und ich muß leider gestehen, ich genoß es ein wenig, daß alle nun mich ansahen, der ich es gewagt hatte, dem großen Meister zu widersprechen – die Zwillinge verwundert, Inge prüfend und Achmed lächelnd, beinahe verständnisvoll.
    »Sie haben recht«, sagte er, »Sie haben mich geschlagen. Ich muß Sie noch besser mit dieser Gedankenwelt vertraut machen.« Und da das eben seine Absicht gewesen war, nämlich mich an seine Vorträge zu binden, hatte also doch er mich geschlagen. Ich war aber, das muß ich zu meiner Ehrenrettung hinzufügen, ganz einverstanden damit.
    »Ich komme zurück zu den weißen Flecken«, fuhr Achmed fort, »den unerforschten Gebieten der Geschichte. Warum sind sie unerforscht? Keine Geschichtsschreibung überliefert sie. Aber vielleicht hat eine Geschichtsschreibung existiert, die vernichtet worden ist? Vielleicht lag sie in der großen Bibliothek von Alexandria, der größten des Altertums, und ist mit ihr zerstört worden? Vielleicht hat die Sintflut, diese legendäre Weltkatastrophe, die so oder anders in fast allen religiösen Überlieferungen vorkommt, die Spuren solcher alter Geschichtsepochen beseitigt?
    Weiter. Keine Ausgrabungen, keine Funde lassen eindeutige, zwingende Schlüsse auf die Existenz solcher Epochen zu. Aber vielleicht liegen stumme Zeugen dieser Jahrzehntausende auf heutigem Meeresboden, wie die Atlantis-Legende annimmt? Oder vielleicht –

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