Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
pfirsichfarbener Seide, zog sich rasch an und warf nach nicht einmal zwanzig Minuten einen letzten prüfenden Blick in den großen Spiegel. Eine Kleinigkeit fehlte noch: Sie nahm den kleinen Halbmond aus ihrer Schmuckschatulle und steckte ihn an den Kragen ihres Blazers. Während sie das kleine, kunstvoll gearbeitete Schmuckstück anheftete, kehrte plötzlich die Erinnerung an den Traum zurück. Nachdenklich betrachtete sie ihr Spiegelbild. Bei Tageslicht war sie die selbstsichere, unnahbare Geschäftsfrau. Heute Nacht aber hatte sie weicher gewirkt, verletzlicher.
Langsam legte sie die Hand auf das Glas, als könne sie ihr Gesicht dort berühren. Doch die Oberfläche war kühl und glatt. Nur ein Spiegelbild, rief sie sich kopfschüttelnd zur Ordnung, genauso wie das Erlebnis heute Nacht nur ein Traum gewesen war. In Wirklichkeit konnte sie es sich nicht leisten, weich und verwundbar zu sein. Eine Agentin, die in dieser Stadt auch nur eine Schwäche zeigte, würde innerhalb von Sekunden von ihren Konkurrenten in der Luft zerrissen. Und auch als Frau wollte sie nicht zu verletzlich und nachgiebig erscheinen. Eine Frau, die einem Mann gegenüber zu sanft war, ging ein zu großes Risiko ein. A. J. Fields aber ging niemals Risiken ein.
Entschlossen strich sie den engen Rock glatt, musterte sich noch einmal von Kopf bis Fuß, nahm ihre Aktentasche und fuhr ins Büro.
Es war nicht ungewöhnlich für A. J., die Ein gangstürselbst aufschließen zu müssen. Seit sie ihr erstes Büro gemietet hatte, saß sie fast immer vor ihren Mitarbeitern am Schreibtisch. In der ersten Zeit ihrer Selbstständigkeit hatte ihr Team aus einer Mitarbeiterin bestanden, die halbtags kam und von einer Karriere als Fotomodell träumte. Heute hatte sie zwei Empfangsdamen, eine Sekretärin und eine Assistentin, zudem einen ganzen Stab an Agenten, die ihr zuarbeiteten. A. J. schaltete die Beleuchtung an, und sofort erstrahlte die gesamte Etage in hellem Licht. Zufrieden schaute sie sich um. Es war eine gute Entscheidung gewesen, eine Innenarchitektin mit der Gestaltung der Räume zu beauftragen. Ihr war es gelungen, der Agentur Stil und unaufdringliche Eleganz zu verleihen und gleichzeitig wenige, aber geschickt platzierte Hinweise auf den Erfolg der Firma zu geben. A. J. selbst hätte wahrscheinlich nur ein paar Schreibtische und vielleicht noch die eine oder andere Designerlampe aufgestellt.
Mit einem Blick auf die Uhr fiel ihr auf, dass sie die frühe Stunde nutzen konnte, um mit verschiedenen Kunden an der Ostküste zu telefonieren, die zu erreichen wegen der Zeitverschiebung immer recht schwierig war. Sie ließ die Pendelleuchten über dem Empfangstresen brennen, ging in ihr Büro und schloss die Tür, um ungestört zu sein. Innerhalb einer halben Stunde hatte sie zugesagt, dass ihr reizbarer Kunde, mit dem sie zum Brunch verabredet war, für die ersten Filmaufnahmen an die Ostküste fliegen würde, den Vertrag eines anderen Klienten für eine täglich ausgestrahlte Serie verlängern lassen und einen Produzenten auf die Palme gebracht, weil sie dessen Angebot für einen Schauspieler, den sie unter Vertrag hatte, abgelehnt hatte.
Ein äußerst effektiver Arbeitsbeginn, dachte A. J. zufriedenund amüsierte sich königlich darüber, dass der erboste Produzent sie eine geldgierige Giftschlange ohne jedes Gespür für langfristige Geschäfte genannt hatte. Sie war lange genug in der Branche tätig, um zu wissen, dass er ihr in den nächsten Tagen ein besseres Angebot machen würde. Entspannt lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und streifte die Pumps von den Füßen. Wenn ihre Rechnung aufging, verdiente der Schauspieler demnächst mehr, als er je zu hoffen gewagt hatte. Aber er wird hart dafür arbeiten müssen, überlegte A. J., während sie sich genüsslich reckte. Sie hatte das Drehbuch gelesen und wusste, dass die Rolle ihm sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig viel abverlangen würde, denn er gehörte zu jenen Darstellern, die stets ihr Herzblut gaben. Deshalb versuchte sie auch, so viel Geld für ihre besten Klienten herauszuschlagen wie nur möglich. Auch wenn sie dafür manchmal die Beschimpfungen eines Produzenten ertragen musste.
Voller Tatendrang beschloss sie, noch in Ruhe ihren Schriftverkehr zu erledigen, ehe ihr Telefon zu klingeln begänne und für den Rest des Tages nicht mehr aufhören würde. In diesem Moment hörte sie Schritte.
Zunächst schaute sie nur auf die Uhr und fragte sich, wer so früh schon im Büro sei.
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