Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
ihn eingelassen, in einem Gespräch von Mensch zu Mensch. Unabhängig davon, welche Fähigkeiten sie besaß …
Unwillig schüttelte David den Kopf, als könne er den Gedanken verbannen. Viel zu intensiv hatte er sich mit diesem Thema beschäftigt, ihm fehlte der nötige Abstand. Aus seinen eigenen Recherchen wusste er, dass auf jeden seriösen Wissenschaftler in diesem Bereich Dutzende vonKarten lesenden, Pendel schwingenden Scharlatanen kamen, die ihr leichtgläubiges Publikum zum Narren hielten. Er nahm einen letzten, tiefen Zug aus seiner Zigarette, dann drückte er sie im Aschenbecher aus. Wenn er sich die Aufnahmen nicht endlich ohne eigene Gefühlsduselei ansah, würde daraus niemals ein packender Dokumentarfilm werden.
Doch selbst objektiv betrachtet, stand Clarissa für ihn eindeutig im Mittelpunkt der Sendung. Sie war das Zentrum, auf das alle anderen Themen zuliefen. Mit halb geschlossenen Augen stellte David sich die fertige Dokumentation vor. Zuerst das Interview in den sterilen Forschungslabors mit den Parapsychologen, aalglatt und mit wissendem, ernsthaftem Blick. Dann ein Schnitt. In der nächsten Szene Clarissa, die Alex in ihren einfachen, humorvollen Worten das Gleiche erzählte wie die hochtrabenden Wissenschaftler zuvor. Der Schwenk zu dem geschniegelten Börsenmakler in seinem riesigen Büro hoch über der Wall Street, dann wieder zurück zu Clarissa. Es war noch ein Dreh mit einem der bekanntesten Magier in Las Vegas geplant, der seine grellen, schnellen Zaubertricks zeigen würde. Dann wieder Clarissa, die ruhig und unaufgeregt die Symbole der Spielkarten erriet. Immer neue Blickwinkel, Kontraste, Spannungen – doch alles führte zurück zu Clarissa DeBasse. Sie war der Aufhänger des ganzen Films. Ob man von Instinkt sprach, Intuition oder übersinnlichen Kräften: Sie war die Hauptperson. Plötzlich sah David den fertigen Film perfekt vor sich.
Doch noch fehlte ein dramatischer Höhepunkt. Und wieder endeten seine Gedanken bei Clarissa. Er musste dieses Interview mit Alice Van Camp bekommen und nach Möglichkeit auch noch jemanden aufspüren, der direkt mitdem Fall Ridehour zu tun gehabt hatte. Mochte A. J. auch alles daransetzen, das zu verhindern, er musste es schaffen.
Oft hatte er in den vergangenen drei Tagen an sie gedacht. Viel zu oft. Viel zu häufig war die Erinnerung an ihren gemeinsamen Abend am Strand aufgetaucht. Und viel zu stark war sein Verlangen, sie in den Armen zu halten.
Aurora. Er wusste, dass es gefährlich war, an sie als Aurora zu denken. Aurora war sanft und umgänglich, leidenschaftlich, großzügig und ein klein wenig unsicher. Es war besser, an A. J. Fields zu denken, die harte, kompromisslose und streitlustige Geschäftsfrau. Doch es war schon spät, und er fühlte sich einsam. Und deshalb dachte er nicht an A. J., sondern an Aurora. Sie war die Frau, nach der er sich sehnte.
Einem Impuls nachgebend, griff David zum Telefonhörer. Ohne nachzudenken, wählte er ihre Nummer, dann hörte er es läuten. Dreimal, viermal.
„Fields.“
„Guten Morgen.“
„David?“ A. J. musste das Badetuch festhalten, das sie um ihr feuchtes Haar geschlungen hatte.
„Wie geht es dir?“
„Ich bin nass.“ Sie klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter, während sie versuchte, sich anzuziehen. „Ich komme gerade aus der Dusche. Gibt es ein Problem?“
Allerdings, dachte er insgeheim. Das Problem war, dass er dreitausend Meilen entfernt war und deshalb nicht erfahren würde, wie sie aussah, wenn sie direkt aus der Dusche kam. Er griff nach der Zigarettenschachtel. Sie war leer. „Nein, alles in Ordnung.“
„Normalerweise ruft mich niemand um diese Zeit an, ohne ei nen trif ti gen Grund. Seit wann bist du zu rück?“
„Ich bin noch nicht wieder in Los Angeles.“
„Rufst du aus New York an?“
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Bis jetzt hatte er nicht geahnt, wie sehr er sie vermisste. „Soweit ich weiß, schon.“
„Es ist zehn Uhr in New York. Musst du nicht arbeiten?“
„Ich habe die ganze Nacht gearbeitet.“
Dieses Mal war sie nicht schnell genug, das Handtuch glitt von ihrem Kopf und landete auf dem Boden. A. J. drehte eine feuchte Haarsträhne zwischen ihren Fingern. „Gib’s zu – du kostest das Nachtleben in Manhattan aus.“
Schmunzelnd öffnete er die Augen und ließ den Blick über Aktenberge, überquellende Aschenbecher und leere Kaffeetassen schweifen. „Genau, diese Stadt schläft nie.“
„Das kann
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