Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
geglaubt?“
Alice überlegte kurz, ehe sie antwortete. „Am Anfang fand ich es einfach nur spannend. Ich hatte mich entschlossen,nach der Geburt meines Sohnes einige Jahre nicht zu arbeiten, doch trotzdem sehnte ich mich manchmal nach ein wenig Abwechslung. Nach besonderen Erlebnissen.“ Als sie lächelte, hellte sich ihre ernsthafte Miene auf. „Und Clarissa ist ganz sicher etwas Besonderes.“
„Also hatte es für Sie eher Unterhaltungswert?“
„Ja, am Anfang stand das ganz sicher im Vordergrund, das muss ich zugeben. Zunächst glaubte ich, sie sei einfach geschickt. Doch je länger ich sie kannte, umso mehr wurde mir klar, dass sie wirklich eine außergewöhnliche Gabe besitzt. Das bedeutet keineswegs, dass ich jeden selbst ernannten Hellseher am Sunset Boulevard gutheiße. Und ich verstehe auch nichts von den wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema. Ich bin einfach überzeugt, dass einige Menschen mehr sehen als andere oder dass ihre Sinne geschärfter sind.“
„Können Sie uns erzählen, was an jenem Tag geschehen ist, als Ihr Sohn verschwand?“
„Es war der 22. Juni. Vor fast zehn Jahren.“ Einen Moment lang schloss Alice die Augen. „Mir scheint es noch immer, als sei es gestern gewesen. Haben Sie Kinder, Mr Marshall?“
„Ja.“
„Und Sie lieben sie?“
„Sehr sogar.“
„Dann haben Sie eine vage Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Kind zu verlieren – und sei es nur für kurze Zeit. Es ist entsetzlich. Man fühlt sich schuldig, und diese Schuld ist beinahe ebenso schmerzlich wie die Angst. Wissen Sie, ich war nicht bei ihm, als es passierte. Wir hatten ein Kindermädchen, Jenny. Sie war seit fünf Jahren bei uns und liebte Matt hew sehr. Ob wohl sie noch sehr jung war,konnten wir uns völlig auf sie verlassen. Nachdem ich beschlossen hatte, wieder zu arbeiten, war Jenny regelmäßig bei uns. Schließlich sollte Matthew nicht darunter leiden, dass ich häufig unterwegs war.“
„Ihr Sohn war fast zehn Jahre alt, als Sie zum ersten Mal wieder eine Rolle annahmen.“
„Das stimmt, und er war sehr selbstständig. Mein Mann und ich haben darauf geachtet, dass er nicht zu sehr verwöhnt wurde. Jenny kam gelegentlich mit ihm ins Studio, und sie ging regelmäßig nachmittags mit ihm in den Park. Wenn ich gewusst hätte, wie gefährlich solche gewohnten Tagesabläufe werden können, hätte ich das nicht zugelassen. Wir haben Matthew aus dem Starrummel herausgehalten, so gut es ging. Er sollte ganz normal aufwachsen. Allerdings gab es das eine oder andere Foto von ihm.“
„Waren Sie besorgt deswegen?“
„Nein.“ Als sie lächelte, war sich jeder am Set ihrer unglaublichen Ausstrahlung bewusst. „Ich war es gewohnt, von Fotografen umlagert zu sein, und dachte mir nichts dabei. Peter und ich haben niemals versucht, unser Privatleben ganz aus der Presse herauszuhalten. Und ich habe mich seit der Entführung oft gefragt, ob es etwas geändert hätte, wenn wir Matthew noch mehr beschützt hätten. Ich bezweifle es.“ Sie seufzte, als sei genau dies der Punkt, mit dem sie noch immer haderte. „Später haben wir erfahren, dass Matthews regelmäßige Ausflüge in den Park beobachtet worden waren.“
„Eine Zeitlang hatte die Polizei vermutet, Jennifer Waite, das Kindermädchen, habe mit den Entführern zusammengearbeitet.“
„Diese Idee war absurd. Nicht eine Sekunde habe ich an Jennys Zuverlässig keit gezweifelt. Nachdem der Fall geklärtwar, hat sich der Verdacht als haltlos erwiesen.“ Beinahe trotzig sah sie Alex an. „Jenny arbeitet immer noch für mich.“schenbei ihm im Haus, ein Mann und die Frau, die Jenny im Park abgelenkt hatte. In der Auffahrt stehe ein Wagen, grün oder grau, meinte sie. Und dann beruhigte sie mich, indem sie versicherte, Matthew gehe es gut.“ Ihre Stimme zitterte kurz, doch sie fing sich schnell wieder. „Er sei zwar verängstigt, aber unverletzt.“
„Die Ermittler fanden ihre Geschichte nicht schlüssig.“
„An jenem Nachmittag, als Matthew entführt wurde, kam Jenny völlig aufgelöst zurück. Wir hatten ein sehr enges Verhältnis, Jenny betrachtete uns als ihre Familie, und sie machte sich bittere Vorwürfe. Matthew hatte mit einigen anderen Kindern Ball gespielt, und sie hatte zugesehen. Als eine junge Frau sie nach dem Weg fragte, war Jenny nur für einen Augenblick unaufmerksam. Das hatte genügt, um Matthew zu entführen. Als Jenny wieder zu den Kindern schaute, sah sie gerade noch, wie Matthew in einen Wagen am
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