Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
Selbstbewusstsein) ins Leben. Ziel dieses Seminars ist es, Kunden davon zu überzeugen, es Lisa Feuer | 64 | gleichzutun und wie sie den Mut aufzubringen, ihren Traum von der Selbstständigkeit zu verwirklichen. In der Kursbeschreibung heißt es, dass Slim auf Fragen eingeht wie »Weshalb fällt uns nichts anderes ein, als erfolgreiche Menschen zu kopieren?« und »Wie können wir den Mut aufbringen, selbst etwas Tolles zu schaffen?«.
Rebuild your Backbone ist ein Beispiel für die sogenannte Courage Culture (Kultur der Mutigen), eine in Nordamerika wachsende Gruppe von Autoren und Online-Kommentatoren, die folgende Überzeugung vertritt: Das größte Hindernis auf dem Weg zum Traumjob ist fehlender Mut – der Mut, sich von »anderer Leute Definition von Erfolg« zu lösen und seinen Traum zu verwirklichen. Keine Frage, diese Einstellung passt perfekt zur Leidenschaftstheorie: Jeder Tag, den wir nicht in unserem Traumjob arbeiten, ist ein vergeudeter Tag, zumindest, wenn da draußen eben dieser Traumjob schon auf uns wartet. Aus dieser Sicht ist Feuers Schritt mutig und überfällig zugleich; sie könnte doch gleich als Gastrednerin in Pamela Slims Telefonseminar auftreten. Doch aus Sicht der Theorie über das Karrierekapital zerbröselt diese Vorstellung wie alter Zwieback – denn dann erscheint Karma Kids Yoga plötzlich als Hasardspiel.
Das Üble an der Leidenschaftstheorie ist, dass Leistung dabei keine Rolle spielt. Für ihre Anhänger wie Slim ist der Start in die Selbstständigkeit, mit der man automatisch an Kreativität, Einfluss und Selbstbestimmung gewinnt, ein Kinderspiel – für das es nur den Mut braucht, ins kalte Wasser zu springen, und schon läuft das Geschäft. Die Theorie über das Karrierekapital vertritt dagegen eine ganz andere Ansicht. Zu einem Traumjob gehört sicherlich auch eine gehörige Portion Mut, aber – weitaus wichtiger – vor allem Fähigkeiten, die einen echten Wert darstellen. Als Feuer ihren Job als Angestellte hinwarf, um ein Yogastudio zu eröffnen, hat sie nicht nur auf ihr Karrierekapital verzichtet, das sie in den vielen Jahren ihrer Berufstätigkeit in der Werbebranche angesammelt hatte, sondern sie ist auch in eine ihr völlig fremde Branche gewechselt, in der sie über so gut wie keine Erfahrung und damit auch kein Karrierekapital verfügte. Ange | 65 | sichts der Tatsache, dass Yoga sich allgemein großer Beliebtheit erfreut, stellt sich schon die Frage, weshalb jemand zu einer Yogalehrerin gehen sollte, die gerade mal einen vierwöchigen Kurs hinter sich hat, wo es doch an allen Ecken erfahrene Yogalehrer gibt. Der Theorie über das Karrierekapital zufolge kann sie in dieser Branche nicht viel bieten. Schon allein deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Feuers Geschäft gut läuft – und genau das ist ja dann auch passiert.
Mit der Rezession von 2008 geriet Feuers Yogastudio ins Trudeln. Eines der Fitnessstudios, in denen sie Yoga unterrichtete, musste schließen. Auch ihre Yogaklasse an einer öffentlichen Highschool fiel dem Rotstift zum Opfer. Je mehr die US-amerikanische Wirtschaft schwächelte, umso geringer wurde die Nachfrage nach privaten Trainingsstunden. In dem Artikel der Times heißt es, dass Feuer im Jahr 2009 wohl ein geschätztes Jahreseinkommen von 15 000 US-Dollar erzielte. Kurz vor der Veröffentlichung schickte sie dem Reporter eine SMS über ihr i-Phone: »Bin gerade im Sozialamt, beantrage Lebensmittelmarken.«
Zwei Tage nach Veröffentlichung dieses Artikels erschien ein weiterer, in dem den Lesern der Times Joe Duffy, ein weiterer Marketingexperte, vorgestellt wurde. 26 Ebenso wie Feuer arbeitete auch Duffy in der Werbebranche und hatte langsam genug vom Angestelltendasein. »Die Arbeit in der Agentur hat mich ausgelaugt«, erinnerte er sich. »Ich [wollte] mein Leben einfacher gestalten und wieder viel kreativer sein können.« Angesichts der Tatsache, dass Duffy eine künstlerische Ausbildung abgeschlossen hatte – und erst nach dem vergeblichen Versuch, sich von seinen Bildern ernähren zu können, über Umwege als technischer Illustrator in der Werbebranche gelandet war –, ist klar, dass Anhänger der Leidenschaftstheorie jemandem in seiner Situation wohl den Rat geben dürften, der Werbebranche den Rücken zu kehren und sich wieder auf seine Passion, die kreativen Künste, zu besinnen.
Wie sich herausstellte, ist Duffy ein Mensch, der sein Handeln genauestens plant. Anstatt spontan zu kündigen, setzte er dar | 66 | auf, das
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