Die Traumvektor Tetralogie - I.Ursprung (German Edition)
auftauchen musste. Sie sah nervös auf die Uhr, wie schon etliche Male in der letzten Minute.
»Allmählich mache ich mir Sorgen. Vielleicht hat er am glitschigen Ufer den Halt verloren und sich, ungeschickt, wie er ist, ein Bein gebrochen oder sich den Kopf angeschlagen und ist ertrunken.«
»Ich sehe lieber mal nach.«
Sie stand auf und bewegte sich zögernd in Flussrichtung.
»Wie sollen wir es je schaffen, aus diesem Dschungel herauszukommen? Das Gebüsch ist einfach zu dicht und die Gefahren, die da lauern, können wir nicht einmal erahnen. Nur mit einem kleinen Messer bewaffnet schaffen wir das nie.«
Sie schob einige Zweige zur Seite und stand wenige Schritte später vor einem umgestürzten Baum, der eine riesige Bresche in den Wald geschlagen hatte.
»Komisch. Dieser Baum lag gestern noch nicht hier. Muss doch einen furchtbaren Krach gemacht haben, als er umgefallen ist. Kann mich nicht daran erinnern, etwas gehört zu haben.«
Sie kletterte über den Baum.
»Das ist doch die Flasche, die er bei sich trug, oder?«
Ihr Herz schlug schneller. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schneller. Sie bewegte sich schneller. Ihre Augen rasten in ihren Höhlen nervös von links nach rechts und wieder zurück, wie die eines gehetzten Tieres. So als befürchteten sie, etwas Grauenvolles könnte sich unbemerkt anschleichen und sie von hinten anfallen.
Sie war am Fluss. Sie rief einige Male nach ihm. Keine Antwort.
»Wenn du mich hörst, dann melde dich. Ich finde das nicht mehr witzig, im Gegenteil. Du hattest deinen Spaß, du hast mich erschreckt, aber jetzt reicht’s. Komm’ raus.«
Noch immer keine Antwort. Ihre Unruhe erreichte kritische Werte.
»Ok! Noch ‘mal von vorn. Kommst du jetzt raus oder willst du heute Nacht alleine schlafen?«
Stille.
»Also gut. Ich gehe zum Lager zurück. Spiel’ du alleine weiter, mir ist es zu blöd geworden.«
Sie drehte sich um, tat einige Schritte, verharrte einige Sekunden regungslos, als würde etwas ihre ganze Aufmerksamkeit erfordern, machte wieder kehrt, füllte die Flasche mit Wasser und ging zum Lager.
Sie saß beunruhigt am Feuer und wartete. Die Minuten vergingen, dehnten sich zu Stunden. Sie trank einen Schluck aus der Flasche. Ihre Hände zitterten.
»Es muss ihm etwas zugestoßen sein. Die Drohung mit dem ›alleine schlafen‹ wirkt sonst immer.«
Sie setzte die Flasche an den Mund, nippte an ihr, stellte sie wieder hin. Sie raffte sich hoch, ging zu den Containern. Stöberte in ihnen, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte.
»Ich muss nachsehen, wo er bleibt.«
Sie machte Anstalten zum Fluss zu gehen.
Unerträgliche Bilder stiegen in ihr auf. Eine im Fluss treibende Leiche mit gebrochenem Genick. Die Überreste eines von Raubtieren zerfleischten Körpers.
Ein tonnenschwerer Stein drückte auf ihren Magen. Sie fühlte ihren Puls entlang ihrer Halsschlagadern in die Schläfen klettern und seine Frequenz kontinuierlich ansteigen.
Sie zögerte.
»Es ist nur mein überstrapazierter Geist, der diese Visionen auslöst. Ich muss ihn suchen.«
Sie klammerte sich an ihr Messer und zwang sich, erneut zum Fluss zu gehen.
»Es gibt sicher eine vernünftige Erklärung. Er muss etwas gefunden haben, das seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Typisch! Vergisst einfach auf mich.«
Sie beobachtete die Fische. Sie rief nach ihm. Zweimal, dreimal, Dutzende Male. Immer lauter. Schrie sich die Seele aus dem Leib, doch er blieb verschwunden.
Sie saß am Feuer, aß ihren Fisch, trank Wasser und lauschte in die Dunkelheit, die sich langsam über den Urwald legte und der Nacht den Weg bereitete. Sie erschrak bei jedem Laut, zuckte beim leisesten Geräusch zusammen und sie bebte vor Angst, als die Nacht hereinbrach und ihren eisigen Mantel der Stille über sie warf.
»Wir hätten uns nicht trennen dürfen. Wir hätten zusammenbleiben müssen. Dann wären wir wenigstens beide tot.«
»Er ist tot und ich weiß nicht mal, was ihn umgebracht hat.«
»Er ist nicht tot. Er kommt wieder. Bald. Er würde mich doch nicht alleine lassen.«
»Nein, er ist tot. Ich muss mich damit abfinden. Ich bin jetzt auf mich allein gestellt. Er kommt nicht mehr zurück. Es ist vorbei. Vorbei ...«
»Morgen werde ich mich auf den Weg machen ...«
In ihren Augen erlosch der letzte Funke Hoffnung. Das immerwährende Lächeln auf ihren Lippen war verschwunden und ihre Gesichtsmuskeln erstarrten in einer Position, die sie bisher nicht gekannt hatten, formten eine Fratze aus
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