Die Traumvektor Tetralogie - I.Ursprung (German Edition)
Ball stand eine Handbreit über den Bergen und hüllte die Welt in ein prächtiges Farbenkleid aus Purpur und Gold.
Etwas kitzelte ihre Wangen. Sie kratzte sich und bemerkte zu ihrem Erstaunen, es waren Tränen, ihre Tränen.
Ihr war, als berührte etwas ihren Geist, tauchte behutsam in ihren Körper, schwebte durch sie hindurch und war auch schon wieder verschwunden. Es hatte sich wie ein lauer Abendwind angefühlt, der sanft ihre Haut streichelte. Etwas Wunderbares war allerdings zurückgeblieben, ein Gefühl grenzenloser Zuneigung.
Sie sah zu der Erscheinung neben ihr hinüber und ein heißer Feuerstrahl schmolz das letzte Eis in ihrem Körper.
Zwei blaue Augen in einem golden leuchtenden Gesicht sahen sie an, drangen ein bis in die tiefsten Tiefen ihres Ichs und holten alle Erinnerungen hervor, die sie beide verband.
Sie versank in einem Meer der Freude und gleichzeitigen Trauer. Sie lachte und weinte zugleich. Sie freute sich über süße, längst vergessen geglaubte Erinnerungen, an die längst vergangene, heitere Zeit mit ihm, und weinte über die Erkenntnis, ihn nie mehr wiederzusehen, nie wieder in seinen Armen zu liegen.
Stunden vergingen, in denen sie in unendlichem Leid ertrank und in denen kurze Blitze lieblicher Stunden, aus zu neuem Leben erwachter Vergangenheit, sie immer wieder aufs Neue mühsam an die Oberfläche der düsteren Realität zurückbrachten.
»Du darfst nicht mehr daran denken. Du musst deine Gefühle in einen verbotenen Winkel sperren, sonst verlierst du den Verstand. Beherrsche deine Emotionen, lasse nicht zu, dass sie dich beherrschen. Bekämpfe sie mit deiner Vernunft.«
Es hatte zu regnen begonnen. Große, warme Tropfen prasselten auf sie nieder. Zuerst trafen sie nur vereinzelt auf ihre Haut, jetzt glaubte sie unter einem dröhnenden Wasserfall zu stehen, der den Dreck von ihrem Körper wusch und all den Müll, der sich in ihrer Seele abgelagert hatte, mit sich riss.
Ihr Verstand funktionierte wieder glasklar. Sie starrte verächtlich in die toten Augen der abgeschnittenen Köpfe. Sie schälte sich aus dem feuchten Gras des Urwaldbodens und zwängte sich in ihre nasse Kleidung. Sie fand ihr Messer und hielt es fest, wie einen lieb gewonnenen Freund.
Das Lagerfeuer war längst erloschen, aber der Duft des gebratenen Fleisches hing noch in der Luft, lud sie zum Essen ein. Sie stürzte sich, einer hungrigen Wölfin gleich, auf das kalte Fleisch und stopfte es in sich hinein. Sie spürte frische Energien in ihren Körper fließen, Energien, die ihr neue Kräfte und Entschlossenheit gaben.
Sie entspannte sich, und als der Regen endlich aufhörte und die wärmenden Strahlen der Sonne ihren Körper trockneten, keimte nach langer Zeit wieder so etwas wie Zuversicht in ihr auf. Und wie zur Bestätigung ihres soeben wiedergewonnenen Optimismus, sprach die Stimme zu ihr, die sie für ein Hirngespinst ihrer verwirrten Sinne, ihres emotionalen Ausnahmezustandes gehalten hatte.
Sie war allgegenwärtig, füllte ihr Ich bis in den letzten Winkel aus. Es war mehr eine Gemütsbewegung, denn eine Stimme, mehr eine Anregung ihres Gefühlszentrums, als eine Aktivierung ihres Hörzentrums. Eine Empfindung, die tiefste Erschütterung aber gleichzeitig eine große Freude und Erleichterung ausdrückte.
»Kannst du mich verstehen?«
»Ja ..., ja laut und deutlich«, antwortete sie zögernd.
»Ich bin sehr froh darüber, dass du mich hörst. Ich versuche schon seit sehr langer Zeit Kontakt mit den Euren aufzunehmen, doch bisher hat niemand darauf reagiert.«
»Ich freue mich zu sehen, dass es dir besser geht.«
Ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit durchströmte sie.
Sie wollte den Besitzer dieser Stimme begrüßen, konnte aber niemanden erkennen.
»Gedankenübertragung?«, dachte sie laut.
»Was ist ›Gedankenübertragung‹?«
»Nun, es ist ..., wenn jemand seine Gedanken direkt in das Gehirn ..., den Geist seines Gesprächspartners übermittelt.«
»Ich übertrage keine Gedankenwellen in deine Richtung. Ich zwinge dir nichts auf. Ich bin nur, und du nimmst mich auf und kannst mich verstehen, wenn du es willst.«
»Du bist nur und ich ... sie ..., er ..., es denkt und ich empfange? Wen habe ich da wieder kennengelernt?«
»Wer bist du?«, fragte sie laut, weil sie nicht sicher war, ob man ihre Gedanken vernehmen konnte.
»Ich bin ich. Ich bin ein Teil des Ganzen. Ich suche mein Ganzes. Doch habe ich es noch nicht gefunden und werde es wohl auch nie finden.«
Eine Welle der
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