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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Formen Leben zu gewinnen schienen und man sich unwillkürlich die Frage vorlegte, ob die Damen die plastische Wahrheit nicht so weit getrieben hatten, um sich völlig nackt zu zeigen. Dies galt indessen nur für die Apotheose; das Drama selbst trug sich im Vordergrunde zu. Links streckte Renée, die Nymphe Echo, die Arme der großen Göttin entgegen, den Kopf halb Narziß zugewendet, mit bittendem, flehendem Ausdruck, als wollte sie ihn auffordern, Venus anzuschauen, deren bloßer Anblick das Feuer der Leidenschaft entflammt; Narziß aber macht rechts stehend eine abwehrende Bewegung und die Augen mit der Hand verdeckend, bleibt er kalt und unempfindlich. Die Kostüme dieser zwei Personen hatten die Phantasie des Herrn Hupel de la Noue in nicht geringem Maße in Anspruch genommen. Narziß, als herumstreichender Halbgott der Wälder trug ein ideales Jägerkostüm: grünliches Tricot, eine kurze Weste und Eichenlaub in den Haaren. Die Verkleidung der Nymphe Echo stellte für sich allein eine ganze Allegorie dar; sie repräsentirte die großen Bäume und großen Berge, die widerhallenden Orte, allwo die Stimmen der Erde und der Luft einander antworten. Der weiße Satin des Rockes stellte den Felsen, der Blätterschmuck der Hüften das Dickicht und die blaue Gaze des Leibchens den reinen Himmel dar. Die einzelnen Gruppen verharrten in der regungslosen Stellung der Statuen, der Fleischton des Olymps schimmerte in der blendenden Beleuchtung und dazwischen klangen die Liebesklagen des Flügels, welche von tiefen Seufzern unterbrochen wurden.
    Allgemein wurde gefunden, daß Maxime sich vorzüglich gehalten habe. In seiner abwehrenden Geberde entwickelte er seine linke Hüfte, welche vielfach bemerkt wurde. Rückhaltsloses Lob wurde aber dem Gesichtsausdrucke Renée's gespendet. Nach der Meinung des Herrn Hupel de la Noue drückte sie »den Schmerz des unbefriedigten Verlangens« aus. Sie hatte ein scharfes Lächeln um den Mund, welches demüthig sein sollte; sie lauerte ihrer Beute mit der Gier der hungrigen Wölfin auf, die ihre Zähne nur halb verbirgt. Das erste Bild ging ohne Störung von statten, abgesehen von der tollen Adeline, die sich nicht ruhig hielt und nur mit großer Mühe einen unbezwingbaren Drang zu lachen unterdrückte. Endlich schlossen sich die Vorhänge und das Piano verstummte.
    Man applaudirte discret und die Gespräche kamen wieder in Fluß. Ein Hauch der Liebe, der verhaltenen Wünsche war von den nackten Gestalten der Estrade ausgegangen und zog jetzt durch den Salon, wo die Frauen sich lässiger in die Arme ihrer Fauteuils schmiegten und die Männer lächelnd mit einander flüsterten. Es war wie ein Liebesflüstern im Alkoven, das gedämpfte Gespräch einer guten Gesellschaft, ein Begehren nach Wonne, blos durch das leise Zittern der Lippen verrathen; und in den stummen Blicken, die einander inmitten dieses vom guten Ton zulässigen Entzückens begegneten, lag die brutale Kühnheit der gebotenen und angenommenen Liebe ausgedrückt.
    Die Reize der Damen bildeten ein unerschöpfliches Gesprächsthema und ihre Kostüme nahmen fast dieselbe Aufmerksamkeit in Anspruch wie ihre Schultern. Als die Dioskuren Mignon und Charrier Herrn Hupel de la Noue befragen wollten, fanden sie ihn zu ihrem Staunen nicht mehr neben sich. Er war bereits hinter der Estrade verschwunden.
    »Ich sagte Ihnen also, mein Herz,« nahm Frau Sidonie den Faden eines durch das erste Bild unterbrochenen Gespräches wieder auf; »daß ich aus London einen Brief in Bezug auf die bewußten drei Milliarden erhielt ... Die Person, die ich mit den Nachforschungen betraut habe, schreibt mir, sie glaube die Bestätigung des Bankiers gefunden zu haben. England soll gezahlt haben. Ich bin infolgedessen ganz krank seit heute Morgens.«
    Thatsächlich sah sie in ihrem mit Sternen besäeten Magierkleide gelber noch als sonst aus. Und da ihr Frau Michelin nicht zuhörte, so fuhr sie mit leiserer Stimme fort, indem sie sagte, daß England nicht gezahlt haben könne und sie entschieden selbst nach London gehen werde.
    »Das Kostüm des Narziß war sehr hübsch, nicht wahr?« fragte Luise zu Frau Michelin gewendet.
    Diese lächelte und blickte dabei den Baron Gouraud an, der jetzt viel munterer in seinem Fauteuil saß. Frau Sidonie sah, welche Richtung ihr Blick hatte und indem sie sich zu ihr neigte, flüsterte sie ihr ins Ohr, damit es das Kind nicht hören könne:
    »Hat er sich endlich gefügt?«
    »Ja,« erwiderte die junge Frau, die ihre Rolle

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