Die Treibjagd
erwartet, seinen Bruder von Pracht und Luxus umgeben anzutreffen. Dieser arbeitete vor einem kleinen schwarzen Tische und begnügte sich bei seinem Anblicke lächelnd, mit seiner langsamen Stimme zu sagen:
»Ah! Du bist's? Ich habe Dich erwartet.«
Aristide war sehr ärgerlich. Er beschuldigte Eugen, er habe ihn vegetiren lassen und ihn nicht einmal eines guten Rathes gewürdigt, während er in der Provinz sein Leben verdämmerte. Er würde es sich niemals verzeihen, daß er bis zum zweiten Dezember Republikaner geblieben; dies sei seine offene Wunde, sein ewiger Gewissensskrupel. Eugen hatte ruhig wieder zu seiner Feder gegriffen und als Jener zu Ende gekommen, sagte er:
»Ach was, Fehler lassen sich gut machen und Du hast eine ganze Zukunft vor Dir.«
Er sprach diese Worte so entschiedenen Tones, begleitete dieselben mit einem so durchdringenden Blicke, daß Aristide den Kopf hängen ließ, deutlich fühlend, daß sein Bruder in der Tiefe seiner Seele lese. Dann fuhr dieser mit freundschaftlicher Offenheit fort:
»Du bist gekommen, damit ich Dich irgendwo unterbringe, nicht wahr? Ich habe bereits an Dich gedacht, doch noch nichts gefunden. Du wirst begreifen, daß ich Dich nicht an welchem Platze immer unterbringen kann. Du mußt eine Stelle erhalten, wo Du Deine Rechnung findest, ohne Gefahr für Dich oder mich ... Bitte, nicht aufbrausen, wir sind allein und können uns gewisse Dinge sagen ...«
Aristide entschloß sich zu lachen.
»Oh, ich weiß, daß Du intelligent bist,« fuhr Eugen fort; »und eine zweite zwecklose Dummheit nicht begehen wirst ... Sobald sich eine günstige Gelegenheit darbietet, werde ich Deiner bedacht sein. Solltest Du inzwischen etwas Geld benöthigen, so stehe ich Dir zu Diensten.«
Sie plauderten noch eine Weile über den Aufstand im Süden, welcher ihrem Vater das ersehnte Amt gebracht. Während ihres Plauderns kleidete sich Eugen an. Als er sich auf der Straße von seinem Bruder trennen wollte, hielt er ihn noch einen Augenblick zurück und sagte gedämpften Tones:
»Du würdest mir einen Dienst erweisen, wenn Du nicht in den Straßen herumstreichen, sondern daheim abwarten wolltest, bis ich die versprochene Stelle gefunden ... Es wäre mir unangenehm, wenn ich meinen Bruder in irgend einem Vorzimmer anträfe.«
Aristide hatte einen gewaltigen Respekt vor seinem Bruder, den er für einen ausnehmend klugen Kopf hielt. Er vergaß ihm sein Mißtrauen nicht, so wenig wie seine etwas derbe Offenheit; nichtsdestoweniger verschloß er sich gehorsam in seinen vier Wänden in der Rue Saint-Jacques. Er war mit fünfhundert Francs, welche ihm der Vater seiner Frau vorgestreckt, nach Paris gekommen. Nachdem die Uebersiedelungskosten bestritten worden, waren noch dreihundert Francs geblieben, mit denen man einen Monat auskommen konnte. Angèle war eine starke Esserin, außerdem meinte sie ihren Sonntagsstaat durch ein paar Meter malvenfarbener Bänder auffrischen zu müssen. Dieser der Erwartung gewidmete Monat däuchte Aristide endlos. Die Ungeduld verzehrte ihn. Wenn er sich an's Fenster setzte und unten die Riesenarbeit von Paris rumoren fühlte, so ward er von einem wahnsinnigen Verlangen erfaßt, mit einem Satze in diesen Schmelzofen zu springen, um daselbst mit seinen fieberhaft zuckenden Händen das Gold gleich weichem Wachs zu kneten. Er sog den noch unbestimmten Hauch ein, welchen die große Stadt zu ihm emporsandte, diesen Hauch des jungen Kaiserreichs, welcher bereits den Duft der Alkoven und Spielhäuser, den Dunst der Genüsse durch die Lüfte trieb. Die leichten Dünste, die zu ihm emporstiegen, sagten ihm, daß er sich auf der richtigen Spur befinde, daß das Wild vor ihm einher lief und daß die große kaiserliche Jagd, die Jagd nach Abenteuern, nach den Frauen und nach den Millionen endlich begonnen habe. Seine Nasenflügel zitterten, sein Instinkt der ausgehungerten Bestie fing sofort die Vorzeichen der heißen Jagd auf, deren Schauplatz die Stadt werden sollte.
Zweimal sprach er bei seinem Bruder vor, um diesen anzutreiben. Eugen empfing ihn zornig, erklärte ihm, daß er ihn nicht vergessen habe, daß aber gewartet werden müsse. Endlich erhielt er einen Brief mit der Aufforderung, sich in der Rue de Penthièvre einzufinden. Hochpochenden Herzens, als ginge es zu einem Liebesrendezvous, fand er sich daselbst ein. Er fand Eugen wieder vor seinem unvermeidlichen kleinen schwarzen Pulte sitzen, das in dem großen frostigen Zimmer stand, welches ihm als Bureau diente.
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