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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und der Quai de la Râpée ihre niedrigen, ungleichen Bauten, ihre Häuserreihen entfalteten, die von oben gesehen, den kleinen Häuschen aus Holz und Pappe glichen, die man den beiden Schwestern zum Spielen gegeben. Im Hintergrunde ragte rechter Hand das bläulich schimmernde Schieferdach der Salpêtrière über die Bäume empor. Mehr in der Mitte bildeten die bis zur Seine hinabreichenden gepflasterten breiten Böschungen zwei lange graue Straßen, auf welchen stellenweise eine Reihe mächtiger Tonnen, ein bespannter Karren, ein mit Holz oder Kohle beladener Wagen zu sehen war. Doch der Hauptreiz, die Seele, welche das ganze Bild belebte, das war die Seine, der lebende Fluß, der von Weitem, unter dem unbestimmten, zitternden Rande des Horizontes wie aus einem Traumlande hervorkommend, geradewegs auf die beiden Kinder zuströmte, majestätisch ruhig, kaum seine mächtigen Fluten aufwühlend, die sich zu ihren Füßen, vor der Inselspitze verbreiterten und gleichsam einzuschlummern schienen. Die beiden Brücken, welche sie überspannten, die Bercy- und die Austerlitz-Brücke, schienen unentbehrliche Hemmketten zu sein, die die Fluten bändigen mußten, um sie zu verhindern, in ihr Zimmer emporzudringen. Die Kinder liebten diesen Riesen, sie konnten sich nicht satt sehen an diesem Strom, an dieser ewig grollenden Flut, die sich auf sie zuwälzte, wie um sich ihrer zu bemächtigen und die sie dann sich zerteilen und nach rechts und links, ins Unbekannte mit der Gelassenheit des gebändigten Titanen verschwinden sahen. An schönen Tagen, an heiteren Morgen waren sie entzückt über die schönen Kleider der Seine; es waren das gar verschiedene Kleider in allen Abstufungen von grün und blau mit seidenen Falten an den Rändern, welche die an den beiden Ufern ankernden Fahrzeuge mit schwarzen Sammtbändern zu verzieren schienen. Weiterhin wurde das Zeug noch kostbarer und bewunderungswürdiger und glich der verzauberten Gewandung aus einem Feenmärchen und hinter dem dunkelgrünen Streifen, welchen die Schatten der Brücken auf das Wasser warfen, kamen wieder goldschimmernde Flächen, ganze Felder, welche aus Sonnenstrahlen gewebt zu sein schienen und in welchen sich der endlose Himmel, die niedrigen Häuserreihen, die Bäume der beiden Parkanlagen spiegelten.
    Als Renée heranwuchs und aus dem Pensionat bereits mit Anwandlungen sinnlicher Gelüste heimkehrte, warf sie zuweilen, wenn dieser unbegrenzte Horizont sie ermüdet hatte, einen Blick in die Schwimmschule hinab, welche sich an der Inselspitze befand. Und zwischen den an Leinen aufgehängten Wäschestücken, die die Stelle der Decke vertraten, suchte sie nach den Badehosen tragenden Männern, deren nackte Bäuche zu sehen waren.

 
III.
    Bis zu den Sommerferien des Jahres 1854 blieb Maxime im Colleg zu Plassans. Er war dreizehn Jahre und etliche Monate alt und hatte sein fünftes Schuljahr absolviert. Zu dieser Zeit entschloß sich sein Vater, ihn nach Paris kommen zu lassen. Er sagte sich, daß ein Sohn in diesem Alter sich ganz gut ausnehmen und dazu dienen würde, ihn in seiner Rolle als reichen und ernsten Witwer, der eine zweite Ehe eingegangen, zu unterstützen. Als er mit seiner Gattin, der gegenüber er sich einer großen Zuvorkommenheit befleißigte, über dieses Projekt sprach, erwiderte sie nachlässig:
    »Mir ist's recht, lassen Sie den Jungen kommen... Er wird uns ein wenig zerstreuen. Am Vormittag ist es bei uns ohnedies zum Sterben langweilig.«
    Acht Tage später langte der Junge an. Es war das ein schmächtiger, hochaufgeschossener Schlingel mit dem Gesicht eines Mädchens, zarter, kecker Miene und ganz blondem Haar. Doch wie lächerlich sah der Knabe aus! Sein Kopf war ganz geschoren, das Haar so kurz, daß der Schädel kaum beschattet war; dazu trug er Beinkleider, die ihm zu kurz waren und eine Bluse, die zu weit geraten, ganz fadenscheinig war und ihm den Anschein gab, als hätte er einen Höcker. In diesem Aufzuge und überrascht von den neuen Dingen, die er hier sah, blickte er um sich, allerdings ohne Furcht, mit der wilden und schlauen Miene eines frühreifen Kindes, welches sich nicht auf den ersten Hieb ergibt.
    Ein Diener hatte ihn vom Bahnhofe abgeholt und er befand sich in dem großen Salon, dessen vergoldete Decke und Einrichtung ihn entzückten, während ihn der Gedanke an all' die Pracht, in welcher er fortan leben sollte, ganz glücklich machte, als Renée, die von ihrem Schneider heimkehrte, wie ein Wirbelwind hereinstürmte. Sie

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