Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
deiner Kollegen vom See zum Haus. Man erkennt sie schlecht, aber das da bist du.« Ich zeigte auf den zweiten Mann von links. »Man sieht am Stand der Sonne, dass es viel später am Tag aufgenommen wurde als die anderen.«
Adam weigerte sich, es anzuschauen.
»Dann dieses hier«, fuhr ich ungerührt fort, indem ich ihn auf Veronica und ihren hohlen Gesichtsausdruck stieß. »In diesem Moment blickt sie Richtung See. Wahrscheinlich bekommt sie gerade mit, dass jemand sie fotografiert. Dass er am Wasser steht und sie von unten hinauf knipst, ist eindeutig zu erkennen, und zwar anhand der Perspektive. Wenn du um den See spazierst und dabei auf mein Haus –«
»Travis …«
»Sie sie dir an.« Ich drehte beide Bilder um, damit er sie auf einen Blick nebeneinander auf sich wirken lassen konnte, doch er wollte nicht.
Befremdlich leise sprach er, mein Bruder: »Ich glaube das nicht. Ich schwöre bei Gott, es ist mir einfach unbegreiflich.« Seine Miene zeugte von derart tiefgründiger Enttäuschung, dass ich mich stark zurückhalten musste, um nicht aufzuspringen und wie ein Irrer aus seinem Haus zu laufen. »Als ich die Tür aufmachte, hoffte ich, du seist vernünftig geworden und gekommen, um deine Frau wiederzusehen.«
»Dir entgeht da etwas. Schau dir die Bilder an, vor allem die Bäume.«
»Werde ich nicht –«
»Tu es einfach, verdammt!«
Winzige Schweißperlen hatten sich an Adams Oberlippe gebildet. Endlich ließ er sich zu einem Blick auf die Fotos auf seinem Küchentisch hinreißen. Dabei schwieg er in Erwartung dessen, was ich weiter zu sagen hatte.
»Was fällt dir auf?«, fragte ich.
»An den Bäumen?«
»Ja. Was erkennst du?«
»Ich sehe … ich sehe Bäume«
»Ja«, entgegnete ich. »Das ist richtig, Bäume. Scharenweise. Ein ganzer verfluchter Wald. Es ist mitten im Sommer, und auf dem Gelände wimmelt es nur so von ihnen.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich will darauf hinaus, dass David Dentman der Polizei eine Menge Bullshit erzählt hat. Er behauptete, den Jungen an jenem Tag vom Haus aus im See schwimmen gesehen zu haben. Sein unter Eid abgegebener Augenzeugenbericht besagt, er sei, als er Elijah nicht mehr sah, hinunter ans Wasser gelaufen, um ihn zu suchen. Erst da habe er bemerkt, dass er verschwunden war.« Erneut tippte ich mit den Fingern auf die beiden Bilder. »Aber das ist Bullshit. Man sieht die Rückseite des verschissenen Hauses nicht durch die Bäume, was umgekehrt bedeutet, dass die verschissene Treppe vom Haus aus verborgen bleibt. Jede Wette: Im Sommer käme man nie darauf, dass sich hinter dem Wald ein See befindet.«
Adam blaffte: »Was willst du mir damit sagen? Ich habe den See sehr wohl vom Haus aus gesehen. Du und Jodie habt die Aussicht am Tag, als ihr eingezogen seid, in höchsten Tönen gelobt. Man sieht ihn vom Fenster eures Schlafzimmers aus.«
»Natürlich.« Ich nickte. »Im Winter. Und selbst dann muss man durch ein Geflecht von Ästen schauen. Sobald es Frühling wird und die Blätter sprießen, erkennt man vermutlich nicht einen Tropfen Wasser von unserem Fenster aus, was auch für alle anderen im Haus gilt.«
Adam seufzte und lehnte sich zurück. Mir war nicht ersichtlich, ob er sich durch den Kopf gehen ließ, was ich ihm gerade erklärt hatte, oder ob er mich gleich aus seiner Bude jagen würde. Seine Miene ließ sich nicht deuten.
»Du warst dort an dem Tag.« Ich schob ihm das Gruppenfoto näher zu. »Du konntest das Haus nicht zwischen den Bäumen sehen, oder?«
»Du verlangst von mir, dass ich mich an Bäume erinnere?«
»Jesus, warum bist du nur so stur? Es geht nicht nur um diese blöden Bäume, sondern auch um das, was Dentman behauptet hat.«
»Na gut, David Dentman ist also ein Lügner«, sagte er.
»Exakt.«
»Unleugbar?«
»S-sicher«, stotterte ich, während ich gleichzeitig nach Lücken in meiner Theorie suchte, bevor Adam darauf stieß. »Er hat gelogen, um zu vertuschen, was wirklich geschehen ist.«
Adam verschränkte die Arme vor der Brust. »Und was ist wirklich passiert?«
Ich sank auf dem Stuhl zusammen. »Sicher bin ich mir nicht. Ich meine, ich habe es im Kopf noch nicht ausgearbeitet. Nur … nur …«
»Nur was?« Der geringschätzige Tonfall war wieder typisch Adam Glasgow, genauso wie die erzwungene Gelassenheit nach allem, was ich ihm gerade erläutert hatte. In jenem Moment wurde mir klar, dass ich nie aufhören würde, mich wie sein kleiner Bruder zu fühlen, sein untergeordneter, schwacher, kleiner
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