Die Treue Des Highlanders
hinter einem Tisch saß und jeder Diener und jede Magd einzeln vortrat. Dabei hatten die Leute auch Gelegenheit, der Herrin kleine oder auch größere Ärgernisse vorzutragen. Einmal war es eine verschwundene Gürtelschnalle, von der die Betroffene behauptete, sie wäre ihr gestohlen worden, ein anderes Mal ging es um die üblichen Streitereien und Eifersüchteleien.
»Es gibt also auch hier Zicken«, sagte Anna zu Duncan, worauf sie ihm sofort erklären musste, was genau man unter
Zicken
in ihrem Sprachgebrauch verstand.
»Mit dem Tag unserer Hochzeit bist du die Herrin von Glenmalloch«, sagte Duncan später. »All das obliegt deiner Verantwortung, und ich bin sicher, du wirst mit den Leuten gut auskommen.«
Anna hob abwehrend die Hände. »Warum kann deine Mutter sich nicht weiter um den Haushalt kümmern? Zumindest so lange, bis ich in alles eingeführt bin.«
»Das wäre unschicklich, meine Schöne. Die Leute folgen in allen Belangen der rechtmäßigen Herrin, sie werden von meiner Mutter keine Anweisungen mehr akzeptieren.«
»Das ist verrückt«, murmelte Anna und schüttelte den Kopf. Aber die Monate in dieser Zeit und in diesem Landstrich hatten sie längst erkennen lassen, dass es Traditionen gab, mit denen man besser nicht brach.
»Ich bin aber sicher, sie wird dir gerne mit wohl gemeinten Ratschlägen zur Seite stehen«, fuhr Duncan fort und blinzelte verschwörerisch. »Du wirst eines Tages froh sein, wenn sich meine Mutter nicht mehr einmischen wird.«
»Da kannst du vielleicht Recht haben«, lachte Anna. Egal, was kommen würde, sie sah der Zukunft positiv entgegen.
An einem sonnigen Morgen erwachte Anna mit dem Gedanken: Heute ist mein Hochzeitstag! Nervös wie eine Jungfrau vor dem ersten Mal, kleidete sie sich in das Unterkleid aus feinster Seide und Spitze und zwang sich, ein wenig zu essen. In der Truhe in ihrem Zimmer lag ihr Hochzeitskleid. Es war aus blutrotem Samt mit einem safrangelben Unterkleid und geschlitzten Ärmeln über einem ebenfalls gelben Futter. Aus Annas Haar waren die rot-gelben Strähnen herausgewachsen, und es glänzte wie polierte Kastanien in der Sonne. Später würden Helen und Lady Flamina ihr helfen, das Kleid anzulegen, und um die Mittagszeit würde sie in der Burgkapelle vor Gott und dem Gesetz Duncans Frau werden.
Meine Eltern werden nie erfahren, dass ich verheiratet bin, dachte Anna mit Wehmut. Egal, was zwischen ihnen vorgefallen war, am schönsten Tag im Leben einer Frau sollten die Eltern an ihrer Seite sein. Ihr Vater wäre bestimmt stolz gewesen, Anna zum Altar zu führen und einem Mann wie Duncan Cruachan zu übergeben. Für die Maßstäbe des sechzehnten Jahrhunderts war Duncan vermögend, wenn nicht sogar reich, eine so genannte gute Partie, gegen die ihre Eltern nichts einzuwenden gehabt hätten.
Anna setzte sich, griff zu Pergament und Feder und schrieb einen Brief an ihre Eltern, obwohl sie sich dessen Sinnlosigkeit bewusst war. Trotzdem war es ihr, als wäre ihr die Mutter nahe, als sie alles zu Papier brachte, was ihr Herz bewegte.
Sie wurde aus ihrem Tun gerissen, als im Hof plötzlich ein Tumult ausbrach. Aufgeregte Stimmen schrien durcheinander. Anna schlüpfte in ein einfaches Kleid und eilte hinunter. Am Fuß der Treppe stieß sie mit Duncan und seiner Mutter zusammen.
»Ein Reiter ist gekommen«, sagte Duncan. »So wie es aussieht, bringt er keine guten Nachrichten.«
Bei dem Reiter handelte es sich um einen Ritter des Nachbargutes. Er und seine Familie waren häufige Gäste auf Glenmalloch.
»Eine Hundertschaft ist im Anzug!«, rief der Mann. »Sie kommen von Süden her und sind bis an die Zähne bewaffnet. Sie suchen Euch, Mylord Duncan! Ihr müsst Euch in Sicherheit bringen!«
Duncan zögerte keinen Augenblick. »Schließt die Tore und lasst das Fallgitter herab!« Scharf und bestimmend hallte seine Stimme durch die Burg. »Mutter, Douglas, holt die Kinder. Wir verschanzen uns in der Halle.«
Anna klammerte sich an seinen Arm. »Duncan, was hat das zu bedeuten? Sind es Männer der Lords?«
Grimmig nickte Duncan. »Das ist anzunehmen. Verdammt, ich hätte nie gedacht, dass sie uns tatsächlich noch verfolgen werden.«
Duncans Befehlen wurde unverzüglich Folge geleistet. Die Familie und die Dienstboten versammelten sich in der Halle, als Lady Flamina rief: »Wo ist Helen? Douglas, warum ist Helen nicht hier?«
Duncans Bruder sah sich suchend um, aber in der Halle war keine Spur des Mädchens zu sehen. »Sie war nicht in ihrem Zimmer, ich dachte,
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