Die Treue Des Highlanders
durchdrehe.
»Du siehst sehr hübsch aus.« Helen trat einen Schritt zurück und betrachtete Anna eingehend. Anna bedauerte das Fehlen von Spiegeln, in denen sie sich von oben bis unten betrachten konnte. Es gab in ihrem Zimmer lediglich einen kleinen Handspiegel, dessen Glas matt war und kaum etwas erkennen ließ. Helen hatte ihr bereits erklärt, dass Spiegelglas sehr teuer war, wie Glas überhaupt, deswegen gab es auf der Burg auch viele Räume, die vor den Fenstern nur geschabte Tierhäute und hölzerne Fensterläden statt Scheiben hatten.
Annas neue Schuhe bestanden aus einem weichen Kalbsleder und waren sehr bequem, allerdings bezweifelte Anna, dass sie im Freien einem Regenguss standhalten würden.
»Was machen wir mit deinem Haar?« Die Unterlippe grübelnd zwischen die Zähne gezogen, fuhr Helen mit einer Hand über Annas Kopf. »Schade, dass ich nicht in deiner Zeit leben kann, ich hätte auch gern gelbe Haare.«
Anna kicherte bei der Vorstellung. »Um deine schwarzen Locken würden dich viele beneiden. Die rot-gelbe Farbe war ein Fehlgriff von mir, aber sie wächst heraus. In spätestens fünf Monaten werde ich wieder braunes Haar haben, du wirst schon sehen.«
Was sage ich denn da?, dachte Anna entsetzt. Sie würde doch auf keinen Fall in fünf Monaten noch hier sein!
Helen wühlte in dem Berg Kleidung und zog eine Haube, ähnlich der, die Anna bisher getragen hatte, hervor. Diese hatte aber an der Rückseite eine Art Schleier. Mit geschickten Fingern drapierte das Mädchen die Haube auf Annas Haar, bis keine Strähne mehr zu sehen war. Einzig ein paar roten Ponyfransen wurde es erlaubt, in die Stirn zu fallen.
»Rothaarige Frauen gibt es in Schottland viele. Das fällt nicht auf«, erklärte Helen und hielt Anna den Handspiegel hin.
Das Wenige, was Anna darin erkennen konnte, war genug, um zu sehen, dass eine völlig andere Person sie anschaute.
»Bin das wirklich ich?«, murmelte sie erstaunt.
Selbst in einem historischen Kostüm hatte sie nicht so ... attraktiv ... ausgesehen. Ja, das war das richtige Wort! So unbequem die vielen Schichten Kleidung auch sein mochten, Anna fühlte sich in diesem Aufzug tatsächlich wohl. Allerdings nur so lange, bis Helen sie aufforderte, mit ihr zusammen in die Halle zu gehen. Über die erste Stufe wäre Anna beinahe gestolpert, den Rest der Treppe schaffte sie nur, weil sie sich mit beiden Händen am Geländer festklammerte und vorsichtig ihre Füße auf eine Stufe nach der anderen setzte.
»Es gibt keinen Grund zum Lachen!«, sagte sie, als sie sah, wie es um Helens Mundwinkel zuckte. »Dieses Korsett und die Röcke sind furchtbar schwer und unpraktisch. Ich habe das Gefühl, jemand versucht mich mit aller Gewalt zu Boden zu ziehen.«
»Du wirst dich schon daran gewöhnen.« Helen konnte ein Kichern nicht mehr unterdrücken. »Du musst nur daran denken, dass wir alle so gekleidet sind.«
»Ja, aber ihr seid es auch gewöhnt.«
Insgeheim beschloss Anna, das Korsett so bald wie möglich wieder loszuwerden und niemals wieder anzuziehen.
Hatte sich Anna bei Duncans Anwesenheit in ihrer Zeit bereits gefragt, wie ein einzelner Mensch solche Mengen an Essen zu sich nehmen konnte, merkte sie nun, dass hier alle sehr gute Esser waren. Die Hauptmahlzeit wurde am frühen Nachmittag eingenommen, bei der sich alle Familienangehörigen und Bediensteten in der großen Halle versammelten. Es gab allerdings eine strenge Sitzordnung: Etwas erhöht auf einem Podest saß die Familie, in der Mitte Duncan direkt neben seiner Mutter. Links und rechts an einfacheren Holztischen nahm die höher gestellte Dienerschaft Platz, während die einfachen Knechte, Mägde und Küchenmädchen ganz am unteren Ende der Halle mit Planken, die über Holzböcke gelegt wurden, vorlieb nehmen mussten. Bedient wurde ebenfalls in dieser Reihenfolge, wobei es vorkam, dass für die Personen unten oft nur noch Knochen und andere Reste übrig blieben, während Duncan stets das größte Stück Fleisch auf dem Teller hatte.
Annas Platz war am Rande der Familientafel, zu ihrer Erleichterung direkt neben Helen. In den wenigen Tagen war Duncans Schwester zu einer Vertrauten geworden, der sie für alle Hinweise dankbar war. Zuerst hatte es Anna große Überwindung gekostet, das Fleisch mit den Fingern zu essen, aber in Ermangelung einer Gabel blieb ihr nichts anderes übrig. Das Messer wurde lediglich zum Teilen größerer Stücke benutzt. Da es August war, gab es auch eine reichliche Auswahl an Gemüse, so dass Anna
Weitere Kostenlose Bücher