Die Treue Des Highlanders
Die Binsen auf den Holzdielen waren sauber und dufteten, und jedes Mädchen hatte ein eigenes Nachtgeschirr. Am ersten Tag fiel es Anna schwer, dieses zu benutzen, aber es war immer noch besser, als die öffentlichen Latrinen hinter dem Palast aufzusuchen. Man brachte Anna neue Kleidung, und sie strich ehrfürchtig über die feinen Stoffe und zierlichen Stickereien an den Kragen und Manschetten.
»Hast du in Irland keine solchen Kleider gehabt?«, fragte Claire, als sie Anna beim Ankleiden half und sah, wie sie sich staunend im Spiegel betrachtete. Claire war die jüngste Tochter eines Lairds aus den südlichen Provinzen und lebte seit einem knappen Jahr am Hof. Anna hatte für sie gleich Sympathie empfunden, im Gegensatz zu Megan, die Tochter des Grafen von Ogilvie, die sich für etwas Besseres hielt und keinen Anlass sah, mit einer
Hergelaufenen
aus dem barbarischen Irland auch nur ein Wort zu wechseln.
Die Gräfin von Argyll wollte jede Einzelheit aus ihrem Leben wissen, und Anna entwickelte blitzschnell ein regelrechtes Drehbuch über ihre Person. Sie erfand einen dominanten Vater, der vor drei Jahren bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen war, eine zärtliche Mutter, die, ebenso wie eine jüngere Schwester, vor drei Monaten an einem Fieber gestorben war. Ihr bescheidener Besitz vor den Toren der Stadt Dublin stand vor dem Ruin, darum sah Anna nur noch die Möglichkeit, ihre entfernten Verwandten in Schottland aufzusuchen. Selbstverständlich war sie nach den Riten der katholischen Kirche erzogen worden und bestätigte, wie sehr Irland unter den Repressalien der englischen Königin zu leiden hatte.
»Immer mehr Landstriche und Provinzen werden von Engländern annektiert, und die Iren stehen der Entwicklung machtlos gegenüber«, behauptete Anna und drückte ein paar Tränen aus den Augen.
»Ihr habt viel erleiden müssen, Lady Anna.« Die Gräfin war voller Mitgefühl. »Doch jetzt seid Ihr an einem Hof, wo der wahre Glaube noch Bestand hat, auch wenn dieser furchtbare Mensch John Knox nichts unversucht lässt, unsere gütige Königin in Verruf zu bringen. Offiziell ist Schottland zwar protestantisch, aber es gibt noch viele Lords, die der richtigen Kirche nicht abgeschworen haben und treu der Krone ergeben sind.«
»Dann hat die Königin das Ziel, Schottland wieder zu einem katholischen Land zu machen?«, fragte Anna bang, denn nur, wenn Maria Stuart von diesem Gedanken Abstand nahm, bestand eine winzige Hoffnung, dass sie ihrem Schicksal entgehen könnte.
»Das soll Euch nicht kümmern, zeigt mir lieber Eure Fähigkeiten, mit denen Ihr den Hof erfreuen könnt«, wechselte Lady Argyll das Thema. »Ihr könnt sicher sticken und feine Spitzen anfertigen? Spielt Ihr die Laute oder das Virginal?«
»Äh ... ich glaube, meine diesbezüglichen Fähigkeiten sind nicht sehr ausgebildet«, antwortete Anna diplomatisch. »Wir hatten auf unserem Gut wenig Zeit für Vergnügungen, der Haushalt erforderte meinen ganzen Einsatz, denn wir konnten uns kaum Personal leisten.«
Entsetzt riss die Gräfin die Augen auf, die drei jungen Mädchen, mit denen Anna das Zimmer teilte, kicherten verstohlen und hielten sich schnell die Hände vor den Mund.
»Aber Ihr könnt doch nähen und sticken?« Anna konnte nur bedauernd den Kopf schütteln. »Was ist mit Musik, Gesang und Tanz?«
Erleichtert atmete Anna auf und beeilte sich zu versichern: »Ich glaube, ich kann ganz gut singen, und das Tanzen liebe ich!«
Erst als Anna die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie es lieber nicht gesagt hätte. Denn nun wollte die Gräfin natürlich eine Kostprobe ihres Könnens, und Anna hatte keine Ahnung von den Liedern oder Tänzen des sechzehnten Jahrhunderts.
»Los, sing ein Lied!«, wurde sie auch schon aufgefordert, und es blieb Anna nichts anderes übrig, als ihr Lieblingslied anzustimmen:
»Near, far, wherever you are
I believe that the heart does go on
Once more you open the door
Here in my heart
And my heart will go on and on ...«
Anna brach ab, denn die Frauen starrten sie mit offenen Mündern an, dann aber sah sie, wie sich aus Claires Auge eine Träne löste.
»Das ist wunderschön!«, rief sie und klatschte in die Hände. »Sag, lernt man in Irland solche Lieder? Ich habe noch nie eine derartige Melodie gehört.«
Anna versuchte, sich ihre Erleichterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, denn nun nickte auch Lady Argyll wohlwollend.
»Eure Stimme ist zwar nicht perfekt, aber recht gut. Ich denke, Ihr könnt
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