Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)
zu nahe.«
Er tauchte den Becher in den Krug und trank ihn leer.
»Herrgott«, sagte er. »War das eine Wohltat!« Er schlürfte noch einen Becher aus. »Was wollen Sie hier, Kamerad? Ist eine ungesunde Gegend, das.«
»Ich suche ein Mädchen – eine junge Frau, die sehen kann. Sie heißt Josella. Ist sie nicht hier?«
»War hier. Mann, Sie kommen zu spät.«
Ein plötzlicher Verdacht durchfuhr mich wie ein Stich.
»Sie wollen doch nicht sagen …?«
»Beruhigen Sie sich, Mann. Sie hat nicht, was ich habe. Nein. Ist nur fort – wie alle, die noch fortkonnten.«
»Wohin wissen Sie nicht?«
»Weiß ich nicht, Kamerad.«
»Verstehe«, erwiderte ich entmutigt.
»Am besten, Mann, Sie hauen auch ab. Sonst erwischt es Sie, und Sie können nicht mehr weg wie ich.«
Er hatte recht. Ich stand da und sah ihn an.
»Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«
»Nein. Damit komme ich aus. Lange wird es mit mir ja nicht mehr dauern.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Leben Sie wohl, Kamerad, und vielen Dank. Und wenn Sie sie finden, passen Sie auf sie auf – sie ist ein gutes Mädchen.«
Während ich mich etwas später mit einer Schinkenkonserve und einer Flasche Bier stärkte, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte zu fragen, wann Josella weggegangen war, beruhigte mich aber damit, dass der Kranke in seinem Zustand wohl kaum eine klare Vorstellung der abgelaufenen Zeit haben konnte.
Nun vermochte ich nur noch daran zu denken, die Universität aufzusuchen. Ich nahm an, dass auch Josella den gleichen Gedanken haben würde – und vielleicht noch andere unserer versprengten Gruppe. Freilich, viel Hoffnung hatte ich nicht; vernünftigerweise hatte sie die Stadt schon vor Tagen verlassen müssen.
Noch immer hingen vom Turm zwei Flaggen schlaff in der warmen Abendluft. Von den ungefähr zwei Dutzend Lastwagen, die wir im Vorhof gesammelt hatten, standen noch vier da, anscheinend unberührt. Ich parkte meinen Wagen daneben und betrat das Gebäude. Meine Schritte hallten durch die Stille.
»Hallo! Heda!«, rief ich. »Ist da niemand?«
Meine Stimme weckte die Echos in Fluren und Treppenhäusern, verebbte in ein Geflüster und dann in Schweigen. Ich ging in den anderen Flügel und rief nochmals. Wieder verhallten langsam die Echos. Ich wandte mich zum Gehen, da gewahrte ich an der Wand innerhalb des Außentores eine Kreideaufschrift. Mit großen Lettern war dort eine Adresse aufgeschrieben:
Tynsham Manor
Tynsham
Nr Devizes, Wilts.
Immerhin etwas.
Ich überlegte. In einer Stunde dunkelte es. Nach Devizes waren es, meiner Schätzung nach, an die hundert Meilen, mindestens. Ich ging nochmals hinaus und sah mir die Lastwagen an. Einer davon war der letzte, den ich herangefahren hatte – der mit meiner verschmähten Anti-Triffid-Ausrüstung. Die übrige Ladung bestand, wie ich mich erinnerte, aus Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen. Damit wäre man jedenfalls willkommener, als wenn man im Auto und mit leeren Händen kam. Aber eine Fahrt ohne zwingenden Grund über die nächtlichen Landstraßen, noch dazu mit einem schwer beladenen Lkw, war nicht nach meinem Geschmack; im Fall einer Panne verlöre ich mit der Suche nach einem neuen Fahrzeug und mit dem Umladen mehr Zeit, als wenn ich hier nächtigte. Ein früher Start am Morgen schien mir günstiger. Ich verstaute die Schachteln mit den Patronen neben dem Führersitz des Lkw. Das Gewehr behielt ich bei mir.
Das Zimmer, aus dem mich der falsche Feueralarm gescheucht hatte, fand ich unverändert; meine Kleider lagen auf einem Sessel, selbst Zigarettenetui und Feuerzeug waren dort, wo ich sie neben mein improvisiertes Bett gelegt hatte.
Zum Schlafen war es zu früh. Ich zündete eine Zigarette an, steckte das Etui in die Tasche und beschloss, noch ein wenig ins Freie zu gehen.
Bevor ich aber den Park auf dem Russell Square betrat, hielt ich sorgfältig Umschau. Freie Plätze erregten bereits meinen Argwohn. Und richtig erspähte ich in der Nordwestecke eine Triffid. Sie stand vollkommen reglos zwischen den Büschen, überragte sie aber beträchtlich. Ich schlich näher und köpfte sie mit einem einzigen Schuss, der über den stillen Platz dröhnte, als hätte ich eine Haubitze abgefeuert. Als ich sicher war, dass keine anderen hier lauerten, ging ich in den Park und setzte mich ins Gras, den Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt.
Ich blieb etwa zwanzig Minuten. Die Sonne stand tief, und eine Hälfte des Platzes lag schon im Schatten. Bald musste ich hineingehen. Nur
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