Die Trinity-Anomalie (German Edition)
verstanden, religiöse Erklärungen?
Julia war Atheistin, klar. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Skeptikern, die sie kannte, hielt sie sich gegenüber der großen Mehrheit der Menschheit, die gläubig war, nicht für geistig überlegen. Sie fühlte sich eher ein bisschen wie eine Mutantin. Als würden ihr wie etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung die Nervenverbindungen fehlen, die den restlichen neunzig Prozent ermöglichten, dieses Ding namens Gott wahrzunehmen.
Das bedeutete nicht, dass es einen Gott gab, sondern nur, dass sie dieser Massenillusion nicht erlag. Auf einer gewissen Ebene würde sie sich nie mit religiösen Menschen verständigen können, denn auch wenn ihr Glaube ihnen großen Trost spendete, durfte man all den zerstörerischen Einfluss, den die Religion in der Welt hatte, nicht einfach übersehen.
All das Geld, die Zeit und die Arbeit, die wir investieren, um Priester, Rabbiner und Imams, Mönche und Gurus in ihrer Macht zu stützen und um prächtige Kathedralen und Tempel, Synagogen, Moscheen und Paläste zu bauen, während wir unsere Jugend aufdem Altar des Krieges opfern – im Krieg darum, wessen Fantasiefreund der
wahre
Fantasiefreund ist. Warum drucken wir nicht gleich T-Shirts mit der Aufschrift »Mein Gott ist aber stärker als deiner«? Und außerdem diese ganze Scheinheiligkeit, der Frauenhass, die Unterdrückung, Intoleranz und Schuldgefühle … So viel menschliche Energie wird verschwendet, nur weil wir wissen, dass wir eines Tages sterben müssen, aber nicht wissen, was danach kommt, und wir fürchten, dass es außer diesem Leben weiter nichts gibt. Diese Frage quält uns – von dem erschreckenden Augenblick in der Kindheit an, wo wir gewahr werden, dass wir und alle, die wir lieben, sterben werden, bis zum letzten Atemzug. Und wenn diese Massenselbsthypnose namens Religion uns hilft, mit der Angst fertigzuwerden, schön, aber wir müssen auch die ungewollten Folgen dieser irrationalen Philosophie sehen. Und da muss man gar nicht lange suchen. Am Ground Zero in Manhattan zum Beispiel. Oder im Gaza-Streifen, wenn man ein paar Gratis-Flugmeilen übrig hat. Und wenn man schon mal da drüben ist, dann sollte man auch mal nach Afrika schauen. Dort predigt der Papst einem von Stammeskriegen, Überbevölkerung, chronischer Nahrungsmittelknappheit und Aids verwüsteten Kontinent. Er predigt den Menschen, sie sollen keine Kondome benutzen, weil sonst der allmächtige, uns alle liebende Gott ihre Seelen dem Feuer ewiger Verdammnis übergeben wird. Sehr nett …
Die Geschichte bereitete ziemliche Schwierigkeiten, was ihre journalistische Objektivität anging. Da musste sie sich schwer in Acht nehmen.
Auf dem Tisch vibrierte ihr Handy. Sie sah aufs Display und ging dran.
»Hallo Sheriff. Danke, dass Sie zurückrufen.«
»Sie sind wahrscheinlich der einzige zivilisierte Mensch in Ihrem ganzen Berufsstand«, jammerte Sheriff Alatorre. »Ihre Kollegen scheinen der irrigen Ansicht zu sein, meine Hauptaufgabe sei, Fragen zu beantworten. Ich kann nicht eine Minute in Ruhe meine Arbeit machen.« Er räusperte sich. »Entschuldigung, aber die letzten Tage hatten’s in sich.«
»Schon in Ordnung«, sagte Julia und dachte:
Mach ihn zu deinem Verbündeten.
Sie legte ein Lächeln in ihre Stimme. »Ich muss zugeben, Sie haben recht, was viele meiner Kollegen angeht, Sheriff. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich die Zeit nehmen.«
»Deshalb mache ich für Sie auch eine Ausnahme. In Ihrer Nachricht haben Sie gesagt, Sie wollen mit Überlebenden reden.«
»Ja, Sir.«
»Junge Frau, ich habe da eine ganz besondere Überraschung für Sie.« Er lachte mit seiner Baritonstimme leise ins Telefon. »Besorgen Sie sich was zu schreiben. Ich habe einen Überlebenden, mit dem Sie ganz bestimmt reden wollen.«
Bei der Privatnummer meldete sich niemand. Als Julia die Handynummer wählte, antwortete Andrew Thibodeaux beim zweiten Klingeln. Sie stellte sich vor und bat ihn zu wiederholen, was er dem Sheriff berichtet hatte. Während er sprach, kritzelte sie in Kurzschrift in ihren Notizblock.
»Nun, wie ich dem Sheriff schon erzählt habe«, sagte Andrew, »ich bin zur Arbeit gegangen und der Vorarbeiter hat gesagt, er hätte einen verrückten Anruf von Reverend Trinity bekommen. Wir sollten den Betrieb einstellen und dass es einen Unfall geben würde. Irgendwas von Visionen und Zungen. Der Vorarbeiter meinte, er war betrunken.«
»Und Sie sind anderer Meinung?«
»Ich habe ihn am Abend davor im
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