Die Trinity-Anomalie (German Edition)
dass es einen Gott gibt.«
»Nun, ich bin zwar gläubig«, sagte Kathryn Reynolds und sah zum Fernseher. »Aber deshalb glaube ich noch lange nicht, dass Gott durch diesen Mistkerl zu uns spricht.«
Julia stand auf und hängte sich ihre Tasche über die Schulter. An der Tür hielt sie noch einmal an.
»Danke, Kathryn.«
»Nennen Sie mich Kathy.«
47
Die Stadtverwaltung wollte mit allen Mitteln verhindern, dass zu viele Leute in das Viertel strömten, denn früher oder später hätte das zu einem schrecklichen Unfall geführt. Aber die Fernsehsender halfen gern und bauten im Centennial Park und im Piedmont Park, in Five Points und auf dem Parkplatz vor Trinitys Lagerhaus-Studio-Kirche riesige Leinwände und PA-Anlagen auf, wofür die Stadt die Kosten übernahm. Sie schickten auch Reporter und Kameramänner, um die Reaktionen auf Trinitys Predigt einzufangen.
Trinity sagte während der ganzen Fahrt nichts. Es war eine beeindruckende Prozession mit einem Polizeiwagen direkt vor ihrer Limousine und einem dahinter. Sechs Motorradpolizisten fuhren paarweise vor, sperrten abwechselnd eine Kreuzung nach der anderen ab und reihten sich dann in perfekter Choreografie wieder in die Formation ein. Normalerweise wäre Trinity von einem solchen Hofstaat begeistert gewesen, aber anscheinend bemerkte er ihn gar nicht. Es sah aus, als wäre er in einen Zustand tiefster Entspannung versunken, deshalb wollte Daniel die Ruhe nicht stören.
Er wusste sowieso nicht, was er sagen sollte. Zweimal hätte er seinem Onkel fast von der gestohlenen Kamera und den Fotos darauf erzählt, hatte es sich aber anders überlegt. Es war nicht der richtige Augenblick, denn Trinity brauchte einen klaren Kopf. Daniel würde ihm nach der Predigt alles gestehen.
Der Fahrzeugkorso erreichte ohne Verzögerungen Trinitys Fernsehstudio und sauste die Rampe hinunter in die Tiefgarage,die vorher aus Sicherheitsgründen geräumt worden war. Das einzige andere Fahrzeug dort war Trinitys roter Geländewagen, der schon seit Tagen ungenutzt herumstand und leicht Staub angesetzt hatte.
Schließlich waren sie allein in Trinitys Garderobe, Samson und Chris direkt vor der Tür und ein halbes Dutzend Polizisten im Flur verteilt. Trinity saß am Schminktisch, half seiner Bräune etwas nach und puderte sich den Glanz von der Stirn.
Der Raum wirkte verwaist, dachte Daniel. Nein, nicht verwaist … eher wie ein Schnappschuss, ein Stillleben – als wäre die Garderobe auf ewig in einer Momentaufnahme gefangen. Die Flasche Blanton’s stand noch, drei viertel leer, genau da, wo Trinity sie ein paar Tage zuvor zurückgelassen hatte. Berge von Fürbittwünschen und Briefen in schmutzigen Leinenpostsäcken nahmen ein Drittel des Raums ein. Auf dem Frisiertisch Puderdosen, Cremes, Bürsten und Schminkstifte. Und der Spiegel mit den kleinen Glühbirnen im Rahmen.
Trinity legte sein Schminkschwämmchen aus der Hand und zog das Papiertaschentuch aus seinem Kragen, strich seine weiße Krawatte glatt und zog seine glänzende Seidenjacke über.
»Fertig?«, fragte Daniel.
Trinity nickte und ging Richtung Tür. Dann hielt er inne und sagte: »Eins wollte ich dir noch sagen: Ich habe das Gefühl, da draußen passiert vielleicht was …«
Daniel wollte etwas sagen, aber Trinity bedeutete ihm zu schweigen. »Nein, ich gehe trotzdem auf die Bühne. Aber für den Fall … muss ich es dir sagen. Ich erwarte dafür nichts im Gegenzug, aber du sollst wissen, dass ich dich liebe, Danny. Was auch immer mit mir los ist oder war, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.«
»Ich … äh … ich …« Daniel starrte seinen Onkel nur an und sagte schließlich: »Ja, danke.«
Trinity grinste und öffnete die Tür zum Flur.
»
Rock ’n’ Roll
«, sagte er und schritt mit geraden Schultern und geblähter Brust ins Ungewisse.
Tim Trinity hatte noch nie zuvor eine so große Ansammlung von Menschen erlebt, bei der es so ruhig zuging. Er stand seitlich der Bühne im Dunkeln, von den Zuschauern aus links, und wartete auf das Stichwort des Aufnahmeleiters. Ein kleiner Bildschirm auf einer Sperrholzkiste zeigte das Sendesignal aus der Regie.
Der Regisseur hatte sich genau an Trinitys Anweisungen gehalten. Es gab keine Erkennungsmelodie, die in Kirchenmusik aus der Konserve überblendete; keinen Zusammenschnitt von Bildern glücklicher, erfolgreicher Christen; auch das Logo von
Tim Trinitys wunderbarer Wohlstandswachstumsstunde
glitt nicht wie sonst über den Bildschirm.
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