Die Trinity-Anomalie (German Edition)
versuchte, sich mit den Augen ihrer Gesprächspartnerin zu sehen, wurde sie erst recht verlegen.
»Ich habe Ihre Artikelserie über Katrina gelesen. Sie sind eine gute Reporterin und Sie können wirklich schreiben. Aber Sie müssen auch an die Zukunft denken. Sie könnten den Sprung zum Fernsehen wagen.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Bei einigen Sendern muss man ständig Kompromisse machen und sein Berufsethos an der Tür abgeben …«
Berufsethos.
Bei dem Wort erschrak Julia. Sie kam sich immer schrecklich prätentiös vor, wenn sie sich eingestand, dass sie sich zur Journalistin berufen fühlte und ihr ihr Berufsethos wichtig war, aber sie hatte noch nie mit jemandem darüber geredet. Sie hatte das Gefühl, dass sie aus einem ganz bestimmten Grund auf der Welt war. Sie wusste natürlich, dass dieses Gefühl auf neurochemischen Vorgängen in ihrem Gehirn beruhte. Aber es war verständlich, dass die Menschen die Seele als vom Körper unabhängige Einheit erfunden hatten. Ihr Gefühl kam aus tiefster Seele, auch wenn es gar keine Seele gab.
»… Hier bei uns müssen Sie nur einen Kompromiss eingehen: Sie müssen die Latte niedriger hängen, wenn es darum geht, was Sie für berichtenswert halten. Wir brauchen die Zuschauerzahlen. Nur so können wir die Gewinne einfahren, die unsere Sklaventreiber an der Wall Street verlangen. Verstehen Sie? Wir kämpfen um das Überleben des Journalismus an sich, nicht um Ideale. Und wer sich nicht beugt, der wird gebrochen. Sie dürfen sich nicht ausbooten lassen und hier müssen Sie nur diesen einen Kompromiss eingehen. Ansonsten bleibt Ihr Berufsethos aber intakt und Sie können immer noch ausführlich über wichtige Storys berichten. Wir anderen machen es ja schließlich auch so. Hören Sie auf meinen Rat.«
»Danke«, sagte Julia. »Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
»Ich wusste, dass wir uns verstehen würden, wenn ich Ihnen erst Ihren Dünkel ausgetrieben habe«, sagte Kathryn Reynolds. »Denken Sie drüber nach. Die Zukunft ist nicht das, was sie mal war, aber sie holt uns trotzdem ein.« Sie nickte und damit war dasThema erledigt. »Und was Trinity angeht: Ich mische mich nicht in Ihre Arbeit für die
Picayune
ein, also erzählen Sie mir bitte auch nicht, was CNN berichten soll und was nicht.«
»In Ordnung«, sagte Julia.
Sie stießen mit ihren Kaffeebechern auf eine gute Zusammenarbeit an. Julia war nun doch froh, dass Herb den Deal mit CNN gemacht hatte. Von dieser Frau konnte sie einiges lernen.
Kathryn Reynolds nahm eine Fernbedienung vom Schreibtisch, schaltete den Fernseher ein und stellte den Ton ab. Soledad O’Brien stand vor Trinitys Villa in Lakeview. Eine blaue Plane bedeckte das Dach des Haupthauses, und die Garage hatte ein neues Metalldach. Der Vorgarten bestand nur noch aus aufgeworfenen Erdhügeln, und in der Einfahrt stand ein Traktor.
Für diesen Beitrag hatte Julia die Recherchen übernommen und für den Field Producer der Fernsehjournalistin einen Spickzettel vorbereitet. Ein paar Wochen nach Katrina hatte Trinity direkt das erste, viel zu niedrige Entschädigungsangebot seiner Versicherung angenommen und dem Haus einfach seinen Rücken gekehrt. Jetzt gehörte es einem Musikproduzenten, der schon mit den Stones und U2 zusammengearbeitet hatte.
»Gehen Sie schlafen«, sagte Kathryn Reynolds. »Morgen haben wir einen anstrengenden Tag vor uns. ›Trinitys große Predigt‹ samt Freakshow und allem, was dazugehört.«
Julia trank ihren Kaffee aus und stellte ihren Becher auf den Schreibtisch, stand aber nicht auf. »Kann ich Sie was fragen?«
»Haben Sie ja gerade. Nächste Frage.«
»Was glauben Sie? Was ist mit Trinity los? Ich meine, haben Sie irgendeine Vermutung?«
Kathryn Reynolds kicherte. »Herzchen, ich habe keinen blassen Schimmer. Vielleicht hat er ja einen Hirntumor und der hat einen Teil des Gehirns aktiviert, zu dem normale Menschen keinen Zugang haben. Vielleicht kann er damit eine der sechs oder sieben verborgenen Quantendimensionen wahrnehmen. Informationen, die rückwärts durch die Zeit reisen. Oder irgendwie so was. Ich bin nicht so auf der Höhe, was Quantenmechanikangeht, aber an Ihrer Stelle würde ich einen Physiker befragen. Und einen Onkologen.«
»Montag rede ich mit einem Physiker«, sagte Julia, »aber dass er einen Hirntumor haben könnte, darauf bin ich gar nicht gekommen. Danke.«
»Weiterbringen wird Sie das auch nicht. Es war nur so eine abwegige Idee.«
»Noch lange nicht so abwegig wie die Idee,
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