Die Trinity Verschwörung
lächeln; er zündete sich am hintersten Ende des Gartens eine Camel an, und ihm fiel auf, dass er zum ersten Mal seit beinahe zwölf Stunden allein war. Zwei Leute vom Partyservice – ein Mädchen und ein Junge, beide in Schwarz gekleidet – sammelten ein paar Gläser von den Fensterbänken. Polly lag ausgestreckt im Gras, schaute ihnen zu und kratzte sich mit der arthritisch gekrümmten Pfote hinterm Ohr.
Im Dämmer des frühen Abends öffnete Gaddis die Tür zu Charlottes Büro und stand in dem Raum, in dem seine Freundin noch am Vormittag ihres Todes gearbeitet hatte. Im Schuppen war alles noch so, wie sie es verlassen hatte. Ihr Laptop stand auf dem Schreibtisch, der Drucker hatte ein paar bedruckte Seiten ausgespuckt, ein Exemplar des Mitrochin Archivs lag aufgeschlagen auf dem Boden. Sam setzte sich an den Schreibtisch. Er schnüffelte in ihren Sachen, kein Zweifel, auch wenn er sich und jedem eventuell Eintretenden vormachen wollte, auf der Suche nach Vereinigung mit Charlottes Geist zu sein. Die Realität war weniger pietätvoll. Er war auf der Suche nach Edward Crane.
Er zog die Blätter aus dem Drucker, ein Artikel über John Updike aus dem New York Review of Books. Sein Blick wanderte nach unten. Auf was hoffte er? Fotos? CD - ROM s? Er blätterte in einem Adressbuch auf dem Schreibtisch, spielte gar mit dem Gedanken, ihr Handy einzuschalten. Sein Atem ging schneller, er sah zum Schuppenfenster hinaus, um sich zu vergewissern, dass er ungestört bleiben würde, während er die ersten Seiten ihres Kalenders aufschlug. Sein Blick suchte die Tage vor ihrem Tod, fand nur den Eintrag » Abendessen S.«, hingekritzelt an dem Abend, an dem er zum Essen gekommen war. Der letzte Abend, an dem er sie lebend gesehen hatte.
» Was machst du da?«
Paul stand in der Tür, sah ihn ungläubig an.
Gaddis klappte den Kalender zu und legte ihn zurück auf den Schreibtisch.
» Ich versuche, ihr ein bisschen nah zu sein«, murmelte er, » irgendeine Erklärung für die ganze Geschichte zu finden.«
» In ihrem Terminkalender?«
Sam stand auf. » Ach, ich weiß es nicht.« Er vermutete, dass Paul den wahren Grund kannte. » Irgendwie bin ich in ihr Büro gestolpert. Verflucht, ich weiß nicht, warum ich das getan habe.«
» Ich auch nicht.«
Sie sahen sich an. Paul war so müde und erschöpft, dass er nur den Kopf schüttelte, neben Sam trat und versuchte, das Büro seiner Frau für sich zurückzugewinnen, indem er wahllos Dinge auf ihrem Schreibtisch zu ordnen begann. » Lass uns wieder reingehen«, sagte er. » Rüber ins Haus.«
Als sie drüben waren, schien der Zwischenfall vergessen, aber Sam lag er noch eine ganze Weile schwer im Magen. Er schämte sich, dass er sich unerklärlicherweise hatte gehen lassen. Wieso hatte er sich bloß dazu herabgelassen? Erstaunlicherweise war es Paul, der das Schweigen zwischen ihnen brach, als er zwei Tage später anrief und Sam zum Abendessen zu sich einlud. Kaum war Sam über die Schwelle getreten, entschuldigte er sich auch schon für das, was geschehen war. Paul winkte ab und bat ihn in die Küche, wo eine Lasagne – zubereitet von einer sorgenden Nachbarin – im Backofen garte, schenkte ihnen zwei Gläser Rotwein ein und setzte sich an den Tisch.
» Ich habe lange über deine Grabrede nachgedacht«, sagte er. » Besonders über eine Stelle.«
Gaddis verspürte Unbehagen. Er hatte Charlottes Schwächen in seiner Rede keineswegs ausgespart, ihre Radikalität in den Anfangsjahren ihrer Karriere, ihre Angewohnheit, Freunde fallen zu lassen, deren Lebensweise nicht ihren Vorstellungen entsprach. Paul hatte sich eine Abschrift erbeten und könnte durchaus Anstoß genommen haben.
» Welche Stelle?«, fragte er.
Gaddis sah, dass Paul den Nachruf in der Hand hielt. Er begann laut vorzulesen: » Wenn wir Glück haben, begegnen wir in unserem Leben ein, zwei außergewöhnlichen Menschen. Wenn wir noch größeres Glück haben, gewinnen wir sie als Freunde.« Paul legte eine Pause ein und räusperte sich, bevor er weiterlas. » Charlotte war nicht nur einer der außergewöhnlichsten Menschen, denen ich je begegnet bin, sie wurde auch meine wertvollste Freundin. Ich habe sie beneidet und bewundert. Ich habe sie für rücksichtslos, aber auch für tapfer gehalten. Dostojewski hat gesagt: › Wer von anderen geachtet werden will, tut gut daran, sich selbst zu achten. Allein mit Respekt vor sich selbst zwingt man andere, Respekt vor einem zu haben.‹ Ich kann mir keinen Menschen
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