Die Trinity Verschwörung
Ging es ihm darum, Charlottes Andenken zu ehren oder schnell ein paar Pfund zu verdienen?
Ein bisschen von beidem, musste er sich eingestehen. Ein bisschen von beidem.
Er klappte den Laptop auf, schaltete ihn ein, steckte das Netzkabel in eine Dose an der Wand. Das Gleiche machte er mit ihrem Handy, um als Erstes festzustellen, dass Text- und Sprachnachrichten von Freunden und Kollegen eingegangen waren, die womöglich noch gar nicht von Charlottes Tod erfahren hatten. Natürlich piepte das Telefon unaufhörlich, während es auflud, drei Texte von Leuten, deren Namen ihm nichts sagten. Er notierte die Nummern auf einem Zettel und wusste, dass er sie heute noch anrufen und ihnen mitteilen musste, dass Charlotte Berg nicht mehr am Leben war.
Es fanden sich so viele Ordner und Fotos auf dem Computer, dass Sam zuerst überwältigt war. Womit sollte er anfangen? Er dachte an seinen eigenen Computer im UCL , an die Tausende von E-Mails und Aufsätzen, Recherche-Unterlagen und Fotografien, aus denen sich ein fast vollständiges Abbild seines privaten und beruflichen Lebens zusammensetzen ließe. Wo fing man an, sich einen Weg durch das alles zu bahnen?
Er klickte sämtliche Dokumente auf ihrem Desktop an, eins nach dem anderen, bewegte sich über dieses Feld von Dateien, von denen keine einzige etwas mit der Cambridge-Recherche zu tun haben schien. Um die Dinge zu vereinfachen, tippte er die Namen » Edward Crane« und » Thomas Neame« in die Suchmaske, erhielt aber kein Ergebnis. Er versuchte es mit den Namen » Philby«, » Blunt«, » Maclean«, » Burgess« und » Cairncross« und zog wieder nur Nieten. Es gab offensichtlich keinen ersten Entwurf von Charlottes Geschichte, keinerlei Niederschriften von Interviews oder Aufzeichnungen. Als wäre alles weggewischt worden.
Gegen Mittag war Gaddis’ Enttäuschung so groß, dass er Paul per SMS fragte: Hatte C. einen zweiten Computer?, und kurze Zeit später zur Antwort erhielt: Nicht, dass ich wüsste. Keine einzige ihrer E-Mails bezog sich auf Arbeiten an der Geschichte. Auch in Outlook fand sich nichts. Charlotte musste den Großteil ihrer Recherchen im Kopf mit sich herumgetragen haben.
Gegen zwei Uhr entdeckte Gaddis in einem entlegenen Winkel ihres Büros einen kleinen tragbaren, alphabetisch geordneten Karteikasten. Er klappte ihn auf und begann, sich durch private Dinge zu arbeiten: Bankauszüge, Details ihres Rentenplans, Briefe von Steuerberatern. Das alles würde er Paul geben müssen, der vor der Aufgabe stand, die Testamentseröffnung vorzubereiten. Eine andere Schachtel enthielt Zeitungs- und Magazinausschnitte von Charlottes eigenen Artikeln, die bis zurück in die frühen 1990er-Jahre reichten, in eine versunkene Welt der Clintons und Lewinskis, der Gräueltaten in Ruanda und eines Timothy McVeigh.
Zum Schluss entdeckte er etwas, von dem er überzeugt war, dass es ihn auf die Spur von Thomas Neame bringen würde: einen digitalen Sony Recorder in der Innentasche eines Mantels, den Charlotte an die Innenseite der Tür gehängt hatte. Gaddis schaltete ihn ein, aber alles, was er fand, war ein Interview über Afghanistan. Als hätte sie nie an einer Recherche zu den Cambridge-Spionen gearbeitet. Hatte sie ganz bewusst keine schriftlichen Aufzeichnungen gemacht? Was für eine Erklärung hätte es sonst für das völlige Fehlen von einschlägigen Dokumenten geben sollen?
Gegen drei Uhr hatte Gaddis einen Bärenhunger und stand kurz vor dem Koller. Er zog eine komplette Schublade aus Charlottes Schreibtisch und trug sie hinüber in die Küche, legte ein Chili con carne aus dem Supermarkt in die Mikrowelle und durchstöberte die Schublade nach Interessantem. Sie war voll mit Gasrechnungen, halbleeren Streifen Paracetamol, Scheckbüchern und Gummibändern. Chaos. Es erinnerte ihn an Hollys Wohnung, und er schickte ihr eine SMS , auf die sie nicht antwortete.
Er wischte schon die Soßenreste des Chili mit einem Stück altbackenem Brot aus, als er einen Umschlag mit Quittungen aus den letzten zwei Monaten von Charlottes Leben fand. Er schob den Teller zur Seite und schüttete die Quittungen, vielleicht dreißig oder vierzig, auf dem Tisch aus. Genauso gut hätte er Reiskörner unter die Lupe nehmen können. Wie sollte ein Kassenzettel der Weinhandlung WH Smith zu Edward Crane führen? Laut flüsternd sagte er zu sich: » Du bist ein Idiot« und steckte die Quittungen zurück in den Umschlag. Dann fand er ein Bier in Pauls Kühlschrank, trank es aus der Flasche
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