Die Trinity Verschwörung
Platows Ruf, vielleicht sogar seine Karriere zu zerstören? Bei dem Abendessen hatte sie mit keinem Wort von so etwas gesprochen; sie hatte in ATTILA eine Bedrohung für die britische, nicht für die russische Regierung gesehen. Vielleicht war Platow als loyalem KGB -Mann auch nur daran gelegen, die Reputation seiner ehemaligen Arbeitgeber zu retten, indem er verhinderte, dass die Crane-Geschichte ruchbar wurde.
Natürlich gab es auch die finsterere Möglichkeit, dass Charlotte keines natürlichen Todes gestorben war, sondern dass Platow ihr seine Killer auf den Hals geschickt hatte, um ihres Schweigens sicher sein zu können. Eingeklemmt zwischen einem hingelümmelten, zappeligen Teenager auf der Gangseite und einem übergewichtigen estnischen Geschäftsmann, der auf dem Fensterplatz von einem Nickerchen ins nächste fiel, knabberte Gaddis trockenen Mundes an einer aufgewärmten Portion Boeuf Stroganoff und an einem trockenen Brötchen. Ihm war jeglicher Appetit vergangen bei der entsetzlichen Vorstellung, dass Charlotte womöglich das jüngste Opfer der beinahe psychopathischen Entschlossenheit der russischen Regierung war, nicht auf Parteilinie liegende Journalisten mundtot zu machen, sei es zu Hause oder im Ausland. Und nur ein einziges Argument widersprach dieser Theorie: dass er selbst noch am Leben und wohlauf war. Auch Ludmilla Tretiak war am Leben und wohlauf, wenn auch abgefüllt mit Alkohol und Tranquilizern. Mit wem hatte Charlotte noch gesprochen? Thomas Neame. Aber der alte Mann war in Winchester, und es fehlte ihm nichts. Und soviel er wusste, schob Calvin Somers noch immer seine Schichten im Mount Vernon Hospital.
Fünf Stunden später war Gaddis wieder zu Hause und stellte fest, dass eine Archivarin des Nationalarchivs in Kew versucht hatte, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Die Frau hieß Josephine Warner und hatte eine muntere Nachricht auf seinem Festnetzanschluss hinterlassen, in der sie ihm mitteilte, dass sie eine Kopie von Edward Cranes Testament gefunden hatte. Das war das Letzte, womit Gaddis gerechnet hätte – er hatte seine Anfrage nicht einmal hinterlegen lassen –, aber immerhin brachte die Geschichte ihn auf andere Gedanken. Und so fuhr er am nächsten Morgen nach Kew, von wo aus er gleich nach Winchester weiterfahren konnte, falls es ihm gelang, Peter ans Telefon zu bekommen. Er musste dringend mit Neame sprechen. Tom war sein einziger Kontakt, der ihm möglicherweise Informationen über Tretiaks Zeit in Dresden liefern konnte.
Im ersten Stockwerk des Archivgebäudes erkundigte er sich bei einem Mitarbeiter nach Josephine Warner und wurde an den Informationsschalter verwiesen. Zwei Frauen saßen dort nebeneinander auf roten Plastikstühlen. Eine der beiden kannte Gaddis vom Sehen, eine Afro-Karibierin namens Dora, die ihm schon einige Male bei Recherchen geholfen hatte. Die zweite Frau war neu. Sie war Ende zwanzig, mit schwarzem schulterlangem Haar und einem Gesicht, dessen Schönheit sich ihm, während er auf sie zuging, sukzessive offenbarte – in der Ruhe ihrer Augen, der Klarheit ihrer hellen Haut.
» Josephine Warner?«
» Ja?«
» Mein Name ist Sam Gaddis. Sie haben gestern eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen.«
» Ja, richtig.« Sie schnellte beinahe aus ihrem Sitz hoch und wirbelte herum zu der Reihe von Aktenschränken in ihrem Rücken. Gaddis nickte Dora zu, die ihm wiedererkennend zulächelte, während Josephine Warner eine Schublade aufzog und sich mit flinken Fingern durch eine Dokumentenkartei blätterte. » Hier haben wir es«, sagte sie mehr zu sich selbst, zog einen braunen Briefumschlag hervor und reichte ihn Gaddis.
» Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte er. » Danke, dass Sie es für mich ausgegraben haben. Es könnte mir von sehr großem Nutzen sein.«
» Gerne.«
Er hätte liebend gerne noch mit ihr geplaudert, aber Josephine richtete den Blick bereits an ihm vorbei auf ihre nächste Kundschaft. Gaddis trug den Umschlag zu einem der Lesetische am Ende des Raums, zog das Testament heraus und begann zu lesen.
Der Inhalt war relativ einfach. Crane hatte den Großteil seiner Hinterlassenschaft einem Neffen vermacht, Charles Crane, siebenundsechzig Jahre alt, wohnhaft in Griechenland. Gaddis notierte sich die Athener Adresse samt Telefonnummer. Großzügige Spenden waren an die Krebsforschung und den Witwenfonds des SIS gegangen. Testamentsvollstrecker war Thomas Neame, dem Crane » die gesamte Last seiner Bücheregale«
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