Die Trinity Verschwörung
er.
Holly hatte fünfzig Meter von Gaddis’ Haustür entfernt geparkt. Der Van auf der anderen Straßenseite war verschwunden. Sie schloss den Kofferraum ihres Autos auf und reichte ihm den ersten von sechs Schuhkartons, schichtete vier übereinander und verdonnerte ihn dazu, mit einem wackligen, unter das Kinn geklemmten Stapel zurück ins Haus zu stolpern.
» Was ist da drin?«, fragte er, nachdem er die Kartons auf dem Küchentisch abgestellt hatte.
» Keine Ahnung«, antwortete Holly.
Sie schafften es, das Thema während der nächsten zwei Stunden zu vermeiden, unterhielten sich stattdessen über seinen Berlintrip – » Eine tolle Stadt, ich wünschte, ich hätte länger bleiben können« – und eine Rolle in einer neuen Fernsehserie, für die Holly vorgesprochen hatte – » Schon wieder so eine Scheißarztserie. Langsam fragt man sich, warum sie die BBC nicht zum Großklinikum umbauen.« Gegen elf, abgefüllt mit Wein und Worten, gingen sie ins Bett. Um eventuell mithörenden Spionen den Spaß an ihrem Bettgeflüster zu verderben, ging Gaddis in sein Büro, öffnete iTunes und schob den Lautstärkeregler hoch.
» Was soll das?«, fragte Holly, als er zurück ins Schlafzimmer kam. » Warum hast du Musik angemacht?«
» Dünne Wände«, erwiderte er.
Sie sah ihn an. » Du bist irgendwie komisch heute Abend, Sam.«
» Ja?«
» Sehr. Alles in Ordnung?«
» Alles in Ordnung.«
Ausgerechnet jetzt musste er an Harold Wilson denken, einen Premierminister, der so fest davon überzeugt war, im Visier des MI 5 zu stehen, dass er wichtige Telefongespräche nur im Badezimmer bei laufenden Wasserhähnen führte. Wenn er Holly doch einfach erzählen könnte, was los war. Wenn er ihr doch einfach reinen Wein über Meisner, Somers, Charlotte und Crane einschenken könnte. Aber vielleicht wusste sie das alles längst. Vielleicht war er gerade im Begriff, mit einer russischen Spionin ins Bett zu steigen.
» Wie ist deine Mutter gestorben?«
» Wow. Du weißt echt, wie man eine Frau ins Bett kriegt.«
» Ehrlich. Du hast es mir nie erzählt. Ich stelle mir vor, dass ihr euch nicht besonders nahegestanden seid.«
Holly hielt inne mit dem Ausziehen. Barfuß stand sie mitten in seinem Schlafzimmer, den Träger des Kleids halb über den Oberarm geschoben.
» Wir hatten unsere Probleme. Mütter und Töchter, du weißt schon.«
iTunes wechselte zu » It Ain’t Me, Babe«. Gaddis wäre gern in sein Arbeitszimmer gegangen, um was anderes anzuklicken, aber er wollte eine Antwort auf seine Frage.
» Hatte sie Krebs?«, fragte er.
» Nein. Wie kommst du darauf?«
» Es interessiert mich, wie sie gestorben ist.«
Hollys Gesicht zuckte vor Zorn. » Woher das plötzliche Interesse?«
Sie verlor langsam die Geduld. Wenn er nicht aufpasste, holte sie ihre Zahnbürste aus dem Badezimmer, stieg wieder in die Plateauschuhe und fuhr beschwipst zurück nach Chelsea.
» Vergiss es«, sagte er. » Ich weiß auch nicht, warum ich gefragt habe.«
Dabei wusste er es nur zu genau. Er wollte wissen, ob die Umstände von Katya Levettes Tod in irgendeiner Weise verdächtig waren. Ob sie womöglich vom FSB ermordet worden war. Gab es irgendetwas in den Unterlagen, das er noch nicht entdeckt hatte, eine rauchende Revolvermündung in einem der Schuhkartons? Hatte Katya womöglich das Geheimnis von Dresden gelüftet und dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen? Natürlich ergab diese Theorie keinen Sinn: Wenn die Russen sie zum Schweigen gebracht hätten, wäre ihr Material gleich mit vernichtet worden. Aber Gaddis lebte unter einem solch beharrlichen Misstrauen, dass er die Unsinnigkeit seines eigenen Denkens nicht mehr erkannte.
» Sie war Alkoholikerin.«
Hollys Erklärung traf ihn unvorbereitet. Er hatte gerade ein Licht im Flur ausgeschaltet und war ins Schlafzimmer zurückgekommen. Sie saß auf der Bettkante und zog mit melancholischer Langsamkeit den Reißverschluss ihres Kleids auf.
» Das wusste ich nicht.«
» Woher auch?«
Er ging quer durchs Zimmer, kniete sich vor ihr auf den Boden und streckte die Hand aus, damit sie aufhörte, sich auszuziehen. » Es tut mir sehr leid.«
» Nicht deine Schuld«, sagte sie, lächelte und wuschelte ihm durchs Haar. Er hatte ein schlechtes Gewissen. » Wenn sich jemand zu Tode trinken will, kann keiner was dagegen tun.«
Sie zog sich weiter das Kleid aus, ein Akt des Trotzes gegen ihre Mutter – sie wollte sich von ihr nicht den Abend verderben lassen. Gaddis sah die Schönheit ihres
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