Die Troja-Mission
Temperaturabfall ist mehr als ungewöhnlich.«
»Sie haben schon eine ganze Menge erreicht«, sagte Gunn zu dem Chemiker. »Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Wir sammeln Proben, leiten sie an das NUMA-Labor in Washington weiter und überlassen denen alles Weitere. Wir sollen vor allem feststellen, woher das Zeug stammt.«
»Das können wir aber nur, wenn wir der Spur folgen, bis wir auf die dichteste Konzentration stoßen«, sagte Renee.
Pitt rang sich ein müdes Lächeln ab. »Deswegen sind wir doch da …« Er stockte, reckte den Kopf und blickte durch das Fenster nach vorn. »Jetzt wird’s lustig«, sagte er. »Wir kommen nach Disneyland.«
»Du solltest dich lieber aufs Ohr hauen«, versetzte Giordino. »Du laberst dummes Zeug.«
»Wir sind hier nicht in Disneyland«, sagte Renee, ein Gähnen unterdrückend.
Pitt drehte sich um und deutete nach vorn, auf die See hinaus. »Und warum haben wir dann die Piraten der Karibik vor uns?«
Alle rissen den Kopf herum und blickten auf das dunkle Wasser, das sich bis zum fernen Sternenhimmel erstreckte. Sie sahen einen fahlen, gelblichen Lichtschein, der allmählich heller wurde, als die
Poco Bonito
stetig darauf zuhielt. Starr und schweigend standen sie da, als sich in dem dunstigen Schimmer Konturen abzeichneten, die Umrisse eines alten Segelschiffes, die immer deutlicher wurden, je näher sie kamen.
Einen Moment lang meinten sie, sie wären nicht mehr recht bei Sinnen. Bis Pitt ruhig und trocken sagte: »Ich habe mich schon gefragt, wann der alte Leigh Hunt endlich aufkreuzt.«
21.
Die Stimmung an Bord schlug plötzlich um. Fast eine Minute lang rührte sich niemand, starrten alle nur sprachlos auf das Phantom. Rudi Gunn brach schließlich das Schweigen.
»Hunt, der Pirat, der gleiche, vor dem uns der Admiral gewarnt hat?«
»Nein, Hunt, der Bukanier.«
»Das darf doch nicht wahr sein.« Erschrocken und ungläubig zugleich starrte Renee nach vorn. »Haben wir wirklich ein Geisterschiff vor uns?«
Pitt lächelte versonnen. »Nur dem Anschein nach.« Dann zitierte er aus der
Ballade vom ewigen Seefahrer.
»Kein Wispern entlockt das hurtige Schiff des Odysseus der See.«
»Wer war Hunt?«, fragte Dodge mit gepresster, beinahe bebender Stimme.
»Ein Bukanier, der von 1665 bis 1680 sein Unwesen in der Karibik trieb, bis er von einem britischen Kriegsschiff geschnappt und an die Haie verfüttert wurde.«
Dodge, der allmählich an seinem Verstand zweifelte und sich das Phantom nicht länger anschauen wollte, wandte sich ab.
»Was ist der Unterschied zwischen einem Piraten und einem Bukanier?«, murmelte er.
»Eigentlich gar keiner«, antwortete Pitt. »
Pirat
ist eine Art Oberbegriff, der sich auf britische, holländische und französische Seefahrer bezieht, die der Prisengelder und der Schätze wegen Handelsschiffe kaperten. Die Bezeichnung
Bukanier
kommt von dem Wort
boucan,
einem Begriff aus der Karibensprache, mit dem ein Holzrahmen bezeichnet wurde, an dem die alten Bukanier Fleisch trockneten und haltbar machten. Im Gegensatz zu den so genannten Privatiers, die im Auftrag ihrer jeweiligen Regierung feindlichen Schiffen nachstellten, überfielen die Bukanier jedes Schiff, hauptsächlich allerdings spanische, ohne im Besitz eines Kaperbriefes zu sein. Sie wurden auch Freibeuter oder Flibustier genannt.«
Das Geisterschiff war jetzt nur mehr eine halbe Meile entfernt und kam rasch näher. Durch den schaurigen gelben Lichtschein, in den es gehüllt war, wirkte es unwirklich, fast surrealistisch. Immer deutlicher zeichnete sich das Schiff ab, und laute Männerstimmen hallten über das Wasser.
Es war eine Dreimastbark mit Rahsegeln und geringem Tiefgang, bis zum achtzehnten Jahrhundert ein vor allem bei Piraten sehr beliebter Schiffstyp. Fock und Marssegel blähten sich in der nicht vorhandenen Brise. Das Schiff war mit zehn Kanonen bestückt, fünf auf jeder Seite des Hauptdecks, und alle waren ausgerannt. Männer, die bunte Tücher um den Kopf geschlungen hatten, standen auf dem Achterdeck und fuchtelten mit ihren Säbeln herum. Stramm wehte die schwarze Flagge mit einem bluttriefenden, teuflisch grinsenden Schädel hoch oben am Großmast, als segelte das Schiff gegen einen vorlichen Wind.
Die Besatzung der
Poco Bonito
betrachtete es teils entsetzt, teils beklommen, aber auch neugierig und gespannt. Giordino sah aus, als starrte er auf eine kalte Pizza
,
während Pitt, der das Fernglas auf das Phantom gerichtet hatte, eine Miene zog, als säße
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