Die Troja-Mission
Giordino das Ruder und blickte achteraus. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sich alle an der Reling festhielten, nickte Pitt ihm zu, worauf er volle Kraft zurück gab. Die mächtigen Diesel vibrierten, als Giordino die Gashebel bis zum Anschlag schob. Das Boot schlingerte und schwankte, aber es saß fest. Der dichte braune Schlick wirkte wie Klebstoff, der am Kiel der
Poco Bonito
haftete. Obwohl sich die ganze Besatzung am Heck drängte und rund eine Tonne Ballast auf dem Achterdeck lagerte, hatte sich der Bug allenfalls um fünf Zentimeter gehoben. Das reichte nicht, um freizukommen.
Pitt hoffte, dass das Boot durch eine Welle angehoben wurde, aber es kam keine. Flach wie ein Spiegel lag die See unter der dichten braunen Masse. Die Maschinen liefen auf vollen Touren, und die Schrauben wühlten sich in den Schlamm, aber nichts tat sich. Aller Augen waren auf die Jacht gerichtet, die nun mit hohem Tempo näher kam.
Jetzt, da er sie im Tageslicht deutlich sehen konnte, schätzte Pitt sie auf eine Gesamtlänge von gut und gern fünfundvierzig Metern. Die riesige Jacht war auch nicht im üblichen Weiß gestrichen, sondern lavendelfarben, genau wie der Odyssey-Pickup auf der Werft. Sie war ein Meisterwerk der Schiffsbaukunst, eine hochseetüchtige Luxusjacht mit allen Schikanen, darunter auch ein siebeneinhalb Meter langes Beiboot und ein sechssitziger Hubschrauber.
Sie war jetzt so nah, dass er die goldenen Lettern des Namenszuges erkennen konnte: EPONA. Darunter war das Firmenzeichen von Odyssey auf die Bordwand gemalt, das in gestrecktem Galopp dahinjagende Pferd. Auch auf der Flagge, die an der Funkantenne hing, prangte das goldene Pferd auf lavendelfarbenem Grund.
Pitt stellte fest, dass zwei Besatzungsmitglieder das Beiboot klar zum Ausfieren machten, während sich etliche andere mit Waffen in der Hand am langen Vorderdeck postierten. Keiner machte auch nur die geringsten Anstalten, in Deckung zu gehen. Offenbar meinten sie, ein altes Fischerboot könnte nicht zurückschlagen, und ergriffen keinerlei Vorsichtsmaßnahmen. Pitts Nackenhaare sträubten sich einen Moment lang, als er zwei Männer bemerkte, die einen Raketenwerfer luden.
»Sie hält genau auf uns zu«, murmelte Dodge beklommen.
»Die sehen ganz und gar nicht wie die Piraten in den Büchern aus, die ich gelesen habe«, rief Giordino über das Röhren der Maschinen hinweg aus dem Ruderhaus. »Die sind nicht mit einer eleganten Jacht auf Kaperfahrt gegangen. Wollen wir wetten, dass sie geklaut ist?«
»Geklaut nicht«, erwiderte Pitt. »Sie gehört Odyssey.«
»Bilde ich mir das nur ein, oder sind die überall?«
Pitt drehte sich um und rief laut: »Renee!«
Sie saß am Boden und hatte sich an die hintere Bordwand gelehnt. »Was ist los?«
»Gehen Sie runter in die Kombüse und leeren Sie sämtliche Flaschen, die Sie finden können. Danach füllen Sie sie mit Benzin aus dem Tank des Stromgenerators.«
»Warum nehmen wir keinen Treibstoff?«, fragte Dodge.
»Weil sich Benzin leichter entzündet als Diesel«, erklärte Pitt. »Wenn die Flaschen voll sind, stecken Sie ein Stück Stoff rein und zwirbeln es zusammen.«
»Molotowcocktails?«
»Genau.«
Renee war kaum unter Deck verschwunden, als die
Epona
in weitem Bogen Kurs auf sie nahm und rasch näher kam. Aus diesem Blickwinkel konnte Pitt erkennen, dass sie einen Doppelrumpf hatte wie ein Katamaran. »Wenn wir nicht bald von dem Schlammhaufen runterkommen«, stieß er wütend aus, »befinden wir uns in einer höchst heiklen Lage.«
»Heikle Lage?«, versetzte Giordino. »Was Besseres fällt dir dazu nicht ein?«
Im nächsten Moment stürmte er aus dem Ruderhaus, kletterte aufs Dach und blieb einen Moment lang dort stehen wie ein Olympionike, ehe er aufs Achterdeck hinabsprang und genau zwischen Pitt und Gunn landete.
Vielleicht war es reines Glück, vielleicht Vorsehung oder Schicksal. Giordinos Gewicht und der Aufprall auf dem Achterdeck jedenfalls waren letzten Endes ausschlaggebend. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, glitt die
Poco Bonito
aus dem zähen Schlamm. Dann kam der Kiel frei, und das Boot tat einen Satz zurück.
Pitt grinste über das ganze Gesicht. »Lass dir nie wieder von mir sagen, dass du fasten sollst.«
Giordino schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Wird gemacht.«
»Und nun zu unserem mittlerweile einstudierten Fluchtmanöver«, sagte Pitt. »Rudi, übernimm das Ruder und duck dich, so tief du kannst. Renee, Sie und Patrick gehen hinter dem ganzen
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