Die Trolle
brauchte Viçinia einige Augenblicke, bevor sie sich überhaupt ihrer Umgebung bewusst war, doch dann gewahrte sie die gezogenen Schwerter der beiden Soldaten und ihre finsteren Blicke, und ihr wurde flau im Magen.
Sciloi verbeugte sich formvollendet vor der Wlachakin, die sich soeben in ihrem Bett aufrichtete. Diese unpassende Höflichkeitsbezeugung verunsicherte Viçinia weit mehr als die Drohgebärden der Wachen. Dennoch gab sie ihren Feinden nicht die Genugtuung, ihre Angst offen zu zeigen.
»Was hat das zu bedeuten?«, rief sie mit gespieltem Zorn. »Nemes Sciloi, das ist unerhört!«
Die kleine Frau verneigte sich noch einmal und hob entschuldigend die Hände: »Herrin, es tut mir Leid, Euch zu so früher Stunde zu stören, doch mein Herr wünscht Euch zu sehen. Folgt uns bitte.«
»Was? Wartet vor der Tür, während ich mich ankleide!«, befahl Viçinia.
Sciloi schüttelte den Kopf. »Wiederum tut es mir Leid, doch meine Befehle sind eindeutig: sofort und ohne jedwede Verzögerung.«
»Soll das heißen, dass Ihr mich in meinem Nachthemd durch die Gänge der Festung scheuchen wollt?«, fragte Viçinia, nun von echtem Zorn erfüllt. Bevor Sciloi antworten konnte, trat eine der Wachen vor, ein Krieger mit hellblondem Bart und ebensolchen Haaren, packte die Decke und riss sie mit grimmigem Gesichtsausdruck vom Bett. Außer sich hob die Wlachakin die Hand, um den Bärtigen zu schlagen, doch dieser richtete die Spitze seines Schwertes auf ihre Kehle. Von Mirelas Lager ertönte ein ängstlicher Schrei.
Bevor die Situation weiter eskalieren konnte, griff Sciloi ein. »Halt! Zurück! Ich sagte: zurück!«
Erst als der Krieger mit einem wütenden Blick in Viçinias Richtung einen Schritt zurückgetreten war, wandte sich Sciloi an die Wlachakin. »Werft Euch einen Mantel über, aber schnell«, befahl sie. »Mein Herr wird über eine Verspätung nicht eben erfreut sein«, fügte sie leise hinzu.
»Ich danke Euch, Nemes Sciloi«, erwiderte Viçinia, während sie sich erhob und mit so viel Würde, wie sie noch aufbringen konnte, ihre Kleidertruhe öffnete. Ein Blick zu Mirela zeigte ihr, dass die Dienerin ihr keinerlei Hilfe sein würde, denn sie hatte sich mit entsetztem Gesichtsausdruck die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen und beobachtete die Soldaten mit weit aufgerissenen Augen. Schnell suchte Viçinia einen einfachen, langen Überwurf aus dicker Wolle aus der Truhe und legte ihn sich um die Schultern. Mit einer herrischen Geste strich sie sich ihr Haar nach hinten und nickte Sciloi zu. »Ich bin bereit, die weitere Gastfreundlichkeit Eures Herrn zu genießen!«
Mit einem gequälten Lächeln ließ die dunkelhaarige Frau sie passieren, während die Soldaten Viçinia in ihre Mitte nahmen. Trotz ihres unwürdigen Aussehens, der nackten Füße und des ungekämmtem Haars hielt Viçinia den Kopf stolz erhoben und schaute dem Bewaffneten, der auf dem Gang Wache hielt, herausfordernd in die Augen, als sie an ihm vorüberging. Niemand sprach ein Wort, als sie den Vorraum durchquerten, doch diesmal ging es nicht nach rechts in die Halle oder in Zorpads Ratszimmer, sondern geradeaus in den westlichen Flügel der Feste, in dem Viçinia noch nie zuvor gewesen war.
Über eine Treppe erreichten sie ein großes Kellergewölbe, dessen Decke sicherlich sechs oder sieben Schritt hoch war. Will er mich in den Kerker sperren?, fragte sich Viçinia und unterdrückte ein Zittern.
Doch anscheinend hatten ihre Peiniger etwas anderes ersonnen. In einer nahen Halle von eindrucksvoller Größe erwartete sie Zorpad bereits mit einigen Wachen.
Dieser Teil der Burg musste alt sein, denn die Mauern bestanden aus grob behauenen Feldsteinen, und der Mörtel dazwischen war wohl schon lange zu Staub zerfallen. Kein Tageslicht drang in das unterirdische Gewölbe, das von zahlreichen rußenden Fackeln in eisernen Wandhaltern erhellt wurde.
Den Blick fest auf Zorpads Gesicht gerichtet, trat Viçinia auf ihn zu und sah ihm scheinbar gelassen in die Augen. Der Masride trug abermals die Farben seines Hauses. Seine massige, muskulöse Gestalt wurde durch die dunklen Rottöne und den schwarzen Pelzbesatz noch betont.
Mit einem gefährlichen kalten Lächeln nickte er Viçinia zu und sprach mit falscher Höflichkeit: »Willkommen in meinem Spielzimmer, edle Viçinia.«
»Ihr habt also beschlossen, Euch nicht länger hinter der zivilisierten Maske zu verbergen, die Ihr ansonsten aufsetzt, und zeigt stattdessen Euer wahres Gesicht. Die Larve fällt,
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