Die Trolle
Dem Gefangenen stand nun ein Leben als Bettler bevor, angewiesen auf die wenigen Almosen, die er erbitten konnte, ein Leben in Schmutz, Abfall und Schande.
»Du warst ein Schmiedemeister?«, fragte Hrodgard unerbittlich weiter.
»Ja, Herr«, antwortete der sichtlich angeschlagene Zwerg, dessen Schultern nun schlaff herabhingen.
»Zuständig für die Versiegelung der oberen Schächte, vor allem der neu angelegten Tunnel?«
»Ja, Herr.«
»Wie erklärst du es dir, dass fast die Hälfte der Luftschächte ungenügend gesichert waren?«, führte Hrodgard das Verhör weiter.
»Die Rohstoffe waren knapp, Herr. Erze wurden für andere Belange eingesetzt. Also beschloss ich, die höher gelegenen Öffnungen zu einem späteren Zeitpunkt zu versiegeln, und ließ die Ausgänge besonders verbergen. Ich dachte …«
»Gedacht hast du!«, ereiferte sich Hrodgard. »Was hast du gedacht? Dass du die Sicherheit unseres hart erarbeiteten Herrschaftsgebietes gefährden kannst? Dass du entscheidest, wie wir unseren Besitz und unser Volk beschützen?«
»Nein, Herr! Ich sagte doch, es gab nicht genug …«, wollte sich Larnard verteidigen, doch Hrodgard konnte das Winseln der Kreatur vor ihm nicht ertragen.
»Schweig«, donnerte er. »Du hättest auf das Fehlen der Materialien hinweisen müssen. Zur Not hättest du dich an die Krieger, an mich persönlich wenden können. Stattdessen öffnetest du unseren Feinden Tür und Tor! Ein Mensch konnte in die Stollen eindringen und wieder entkommen. Ein Mensch!«
Darauf wusste der Zwerg nichts zu sagen und ließ vollständig entmutigt den Kopf hängen.
Hrodgard nickte einem gedrungenen, seltsam verkrümmten Zwerg zu, der sich bisher abseits gehalten hatte. »Das ist Erko, Sohn des Elkoin, der Arachnidenmeister.«
Der Angesprochene neigte sein Haupt, vermutlich konnte er sich nicht wirklich verbeugen, denn seine rechte Körperhälfte war leblos. Die Haut an seinem rechten Arm, den er steif vor dem Bauch trug, war knotig und von dicken, langen Narben und Wülsten überzogen, die sich wohl über den ganzen Leib fortsetzten. Am unangenehmsten war jedoch sein Gesicht zu betrachten, das zur Hälfte wie eine grausige, starre Maske wirkte, mit einer leeren Augenhöhle und furchtbaren Narben auf der rechten Hälfte. Es hieß, dass Erko von einer der großen braunen Spinnen, die bei den Zwergen Braunfäule hießen, gebissen worden sei. Ihr Gift galt als tödlich, es ließ den Opfern Haut und Muskeln von den Knochen faulen. Doch der Arachnidenmeister hatte es überlebt, auch wenn sein Körper die grausigen Spuren dieses Bisses überdeutlich zeigte.
»Arachnidenmeister, wie zieht Ihr eine neue Wächterin heran? Immerhin müssen wir einen neuen Schacht schlagen und ihn beschützen.«
»Nun, Herr«, antwortete der grässlich anzusehende Zwerg mit seiner keuchenden, wispernden Stimme, »wir pflanzen einen Eiersack an ein Tier und warten ab, bis die Kleinen schlüpfen. Zunächst verspeisen sie das Tier, dann einander, bis nur die größte und stärkste Spinne überlebt.«
»Ist das Tier ein lebendes?«, fragte Hrodgard mit einem Seitenblick auf Larnard.
»Zunächst. Das Gift der Nestlinge hält es natürlich starr, aber irgendwann stirbt es an den Verletzungen.«
»Du wirst deinem Volk ein letztes Mal dienen, Larnard«, verkündete Hrodgard, Sohn des Haldigis, unbarmherzig das Urteil über den säumigen Schmiedemeister.
»Nein! Gnade, Herr, Gnade!«, flehte Larnard entsetzt, als er Hrodgards Absicht erkannte, und zerrte wie wild an seinen Ketten.
Doch der Kriegsmeister sah ihn nur angewidert an. »Gnade? Du jämmerlicher Wurm, du bist kein Zwerg!«, zischte Hrodgard. »Aber gut. Ein Kadaver ist doch ausreichend, Arachnidenmeister?«
»Solange er frisch ist, Herr«, keuchte Erko leise.
»So sei es. Gebt ihm eine Klinge mit in seine Zelle. Deine Wahl, Larnard Spinnenfutter.«
Damit schafften die Soldaten den Verurteilten, dessen Widerstand gebrochen war und der teilnahmslos zwischen ihnen hing, wieder aus der Ratshalle. Zufrieden nickte der Kriegsmeister dem Arachnidenmeister zu, der sich schlurfend wieder zu seinen Lieblingen zurückzog.
Möge das Schicksal des ehemaligen Schmiedemeisters allen eine Warnung sein! Niemand verrät unser Volk und bleibt ungestraft!
26
Mit einem Schlag flog die Tür zu Viçinias Gemach auf, und zwei schwer bewaffnete Wachen traten ein, gefolgt von Sciloi Kaszón. Das erste Licht des Tages schien gerade erst durch das Fenster. Aus wirren Träumen gerissen,
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