Die Trolle
Glück hatte Zorpad kurze Zeit später die Audienz beendet und alle seine Gäste entlassen. Anstatt den dicken Händler noch bis zu seinem Haus zu begleiten und dort ihre Entlohnung zu empfangen, war Flores davongerannt und hatte Hernád nur noch zugerufen, dass sie ihren Lohn morgen einfordern würde.
Da sie nicht wusste, in welcher Halle Sten sich versteckt hielt, blieb ihr nur eines übrig, nämlich alle abzusuchen. Ohne nähere Hinweise rannte Flores zum südlichen Ende des Hafens und begann systematisch um alle Warenhäuser herumzuschleichen und an die Türen zu klopfen, in der Hoffnung, dass Sten ihr öffnete.
Zweimal traf sie auf angeheuerte Wachen, die sie aber kannten und einfach nur grüßten, wohl in der Annahme, dass sie ebenfalls aus diesem Grund voll gerüstet am Hafen unterwegs war.
Nach einem halben Dutzend Lagerhallen, die sich alle als Nieten entpuppten, kam ihr plötzlich eine Idee. Sie lief zurück zu den Wachen, gab sich leutselig und stellte eine harmlose Frage: »Ruhiger Abend, was?«
Das Wachen-Trio, dessen Mitglieder Flores zuvor am Hafen getroffen hatte, schien das ebenso zu sehen, denn ihr Anführer antwortete: »Ja. Nichts Ungewöhnliches. Bist du für Hernád unterwegs?«
Verwirrt schüttelte Flores den Kopf, dann fiel ihr ein, dass sie noch den Mantel und den Überwurf trug.
»Ach, deswegen?«, fragte sie, und der Söldner nickte. »Nein, ich habe Hernád heute in die Feste begleitet. Hatte noch keine Zeit, die Sachen zu wechseln. Sieht ja übel aus.«
Die Blicke der Söldner folgten dem ihren zu den tief hängenden, bedrohlichen Wolken, und sie nickten resigniert.
»Wird ’ne böse Nacht«, stellte ihr Sprecher fest. »Da werden wir alle noch mit nassen Füßen nach Hause gehen.«
»Äh, sagt mal, wart ihr die Tage schon hier?«, erkundigte sich Flores unschuldig und kaute nervös an einem Fingernagel. »Gab es in letzter Zeit Probleme?«
»Alles ruhig«, erwiderte der Anführer und warf ihr einen misstrauischen Seitenblick zu. »Wieso, suchst du Ärger?«
Bevor Flores antworten konnte, sagte einer seiner Begleiter, ein kleiner Mann mit schütterem Haar und eng beieinander stehenden Augen: »Da war doch was, dieser kleine Flitzer!«
»Stimmt, Matyás«, gab ihm der Anführer Recht. »Gestern Nacht war einer am Nordbecken, lungerte wohl bei den Hallen da rum. Wir haben ihn aufgescheucht, aber er war verdammt schnell. Na ja, weg ist weg.«
»Ja, sicher. Und wo war das genau?«, erwiderte Flores mit einem hoffnungsvollen Grinsen. »Nur, falls ich die Strecke heute noch entlang muss«, fügte sie erklärend hinzu.
»Das große Lager da im Nordteil, das mit den roten Schindeln.«
Fieberhaft überlegte Flores, doch dann fiel ihr ein, welches Lagerhaus der Söldner meinen musste.
»Danke. Na ja, wie auch immer, ich muss los!«, erklärte sie und verabschiedete sich.
Tatsächlich gab es im Norden des Hafens nur eine Lagerhalle mit einem rot gedeckten Dach, und sie fand schnell den Weg dorthin. Vorsichtig strich sie einmal um das große Gebäude herum, bemerkte jedoch nichts Verdächtiges. Also näherte sie sich einer kleinen Seitentür und klopfte mit der Faust an.
Zunächst regte sich nichts, und sie befürchtete schon, dass der Hinweis sie in die Irre geführt hatte. Dennoch hob sie die Hand, um noch einmal zu klopfen, da öffnete sich die Tür leise knarrend nach innen. Vorsichtig trat die junge Wlachakin einen Schritt vor und wollte gerade nach ihrem Bruder fragen, als sich eine albtraumhafte Fratze aus der tiefen Dunkelheit der Halle schälte und mit gewaltigen Pranken nach ihr griff. Fluchend wollte Flores zurückspringen, doch die Klaue erwischte sie an dem verfluchten Waffenrock des Händlers und riss sie hinein in die Finsternis der Lagerhalle.
»Noch ein Mensch«, ertönte eine tiefe Stimme direkt vor ihr, und ein übler Geruch drang ihr in die Nase. Verzweifelt versuchte sie ihr Schwert zu ziehen, aber zwei mächtige raue Hände hatten ihre Oberarme von hinten gepackt und pressten sie so fest gegen ihren Leib, dass die Wlachakin sie keinen Fingerbreit bewegen konnte.
»Mach mal Licht, Druan«, befahl die Stimme hinter ihr wieder, und Flores warf sich abrupt zurück und trat aus. Es war, als hätte ihr Stiefel eine Steinwand getroffen, so hart war ihr Ziel, und außer einem kurzen Keuchen schien sie nichts erreicht zu haben, nur, dass ihr Peiniger hinter ihr sie hochriss und durchschüttelte.
»Verflucht!«, schrie Flores. »Sten? Ich bin’s, Sten!«
Zumindest
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