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Die Trüffelgöttinnen (German Edition)

Die Trüffelgöttinnen (German Edition)

Titel: Die Trüffelgöttinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lexa Holland
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aus mehreren Rebsorten und Lagen zusammengemischten Fünfzigcentlandwein, bei dem man sich am besten die Kopfschmerztablette gleich neben das Glas legte. Inzwischen war er in der Lage, die samtige, tiefrot glühende Seele eines an sonnengewärmten, kalkreichen Hängen gewachsenen Bordeaux von der trotz seiner Herbheit mediterran heiteren Lebenslust eines Chianti zu unterscheiden und sogar den Jahrgang exakt zu bestimmen.
    Die herrlichen Aromen und der fruchtige Abgang, die das Reifen in den aus Eichenholz geschlagenen Barriquefässchen den Weinen mitgaben, konnten ihn bis zur Ekstase begeistern, und er tendierte je nach Stimmung zu dem feinen Aroma reifer Himbeeren, wilder Kirschen oder einem zarten, nur wie von ferne erahnten Vanillehauch.
    Es gab für Harry nichts, das Rotwein ersetzen konnte, auch wenn man immer wieder versucht hatte, ihm ein frisch gezapftes herbes Bier schmackhaft zu machen. Bier war wie ein guter Kumpel, der einem nach getaner Arbeit anerkennend auf den Rücken klopfte, und mit dem man sich auf einer grob aus dem Stamm gehauenen Holzbank zum gemeinsamen zufriedenen Schweigen niederließ – ganz so, wie Männer es eben ab und zu brauchten.
    Aber Wein, das war der edle Gefährte, der sich mit vornehmer Zurückhaltung näherte, um dann direkt die Seele zu berühren mit sonnendurchflossener Wärme und Lebendigkeit und mit seiner Geschichte.
    Und irgendwann war Harry dann schließlich wie durch Schicksalsfügung bei einem ganz bestimmten Wein angekommen, der wie kein anderer seinen Herzschlag beschleunigte: Der von Baron Philippe de Rothschild auf dessen Weingut angebaute Chateau Mouton Rothschild .
    Nach seinem ersten ehrfürchtig verkosteten Glas hatte Harry alles verschlungen, was es über diesen Wein zu lesen gab, und so hatte er erfahren, dass Baron de Rothschild 1924 die damals als unerhört empfundene Maxime festgelegt hatte, dass ein Wein zur Wahrung seiner Qualität auf dem Weingut abgefüllt werden müsse, und dass die Rothschilds seit 1945 die Etiketten für ihre Weine von berühmten Künstlern wie Picasso, Dalì, Chagall und ähnlichen Giganten der Kunstwelt entwerfen ließen.
    Alleine schon die Etiketten machten den Wein zu einem begehrten Sammelobjekt, aber beim Mouton Rothschild lag für Harry die Faszination in dem Geist, der in den Flaschen ruhte.
    Manchmal nahm er sich den kleinen Hocker, den er brauchte, um die oberste Lage zu erreichen, und setzte sich ehrfürchtig still vor die in langen Reihen gelagerten Flaschen, um die Bilder, die sie vor seinem inneren Auge erstehen ließen, in ihrem ganzen Reichtum an sich vorbeiziehen zu lassen: Wettergegerbte, vom reichlichen Weingenuss rotbackige Gesichter. Von der harten Arbeit gebeugte sehnige Körper, die sich mit schweren Weidenkörben auf dem Rücken nach den Trauben bückten und die wertvolle Ernte auf Karren kippten, die dann von widerspenstigen Maultieren zur Kelter gezogen wurden. Üppige Winzerfrauen mit ausladenden Hüften unter den hellen Schürzen, die den Männern frisch gebackenes Brot und sahnige Butter, Käse und Walnüsse in die Weinberge brachten, ein wenig mit ihnen tändelten und dann wieder nach Hause zurückkehrten zu dem großen Herd und den dampfenden Töpfen in der Stube und zu den Kindern, deren hungrige Mäuler ebenfalls gestopft werden wollten.
    In der Abgeschiedenheit des in sanftem Dämmerlicht liegenden Weinkellers wurde aus dem gefürchteten Harry Shinder der Mensch, der er eigentlich war. Es war, als steige er mit jedem Schritt die Treppe hinunter einen Schritt tiefer in sein Unbewusstes, und er versank nicht nur mit den Geschichten der Weine in einer anderen Zeit, in anderen Welten, sondern hier war er wirklich er selbst. Umgeben von seinen Freunden, den mit Geschichten gefüllten Weinflaschen, erwachten all jene Gedanken und Gefühle, die er in der Welt der gleißenden Scheinwerfer, wo man seiner Erfahrung nach beißen musste, um nicht gebissen zu werden, normalerweise auch vor sich selbst versteckte.
    Vor dem Regal mit Chateau Lafitte, der Harry mit seinen betäubenden Aromen von Wildkräutern, Trüffeln und schwarzen Beeren an die Einsamkeit, die schwermütige dunkle und doch tröstliche Stille des Waldes erinnerte, konnte er sich am besten mit seiner schlimmsten narzisstischen Kränkung, seiner geringen Körpergröße, aussöhnen. In der Nähe des in tiefdunklem Rot glühenden Chateau Margaux erwachten lange unterdrückten Sehnsüchte nach Wärme und Nähe und Zuwendung, und neben dem

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