Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
versehenen Handkarren.
Er hatte den Wagen ganz bewusst zwei Straßen weiter geparkt, niemand sollte den Ford mit dem in Zusammenhang bringen, was sich in dem gepflegten Bungalow, den er jetzt ansteuerte, ereignen würde. Den Trenchcoat hatte er gegen einen blauen Handwerkeroverall ausgetauscht, um sich sozusagen unsichtbar zu machen, denn Handwerker, die in Häusern ein- und ausgingen, gehörten so sehr zum Alltagsbild einer Wohnsiedlung, dass sogar die Röntgenblicke der wachsamsten Nachbarn durch sie hindurchfielen, als seien sie eine substanzlose Fata Morgana.
Der Eingang lag halb verdeckt von üppig blühenden Rosenranken an der Seite des Bungalows, sodass der Mann Handschuhe überziehen und sich beim Öffnen der Tür mit dem mitgebrachten Spezialwerkzeug Zeit lassen konnte. Er würde sie nachher einfach wieder hinter sich zuziehen, und alles würde genau so aussehen, wie der Besitzer es am Morgen verlassen hatte.
Bis auf eine Kleinigkeit, natürlich. Fünfzig Kleinigkeiten, um genau zu sein.
Die Tür öffnete sich geräuschlos nach innen, und der Mann zog die Kartons vorsichtig durch die mit Antiquitäten überladene Diele.
Als Erstes nahm er sich die Küche vor, wo er in die von Küchenbenutzern erfahrungsgemäß als erstes geöffneten Schrankfächer je ein Meerschweinchen setzte, in der Hoffnung, dass sie die paar Stunden bis zu ihrer Entdeckung schadlos überstanden. Drei Meerschweinchen setzte er in die leere Badewanne, zwei in den verspiegelten Schrank zwischen Rasierschaum und Deosprayflaschen, drei bekamen ihr vorübergehendes Zuhause im Schuhschrank in der Diele, und fünf Meerschweinchen wurden im Kleiderschrank auf Hemden und Unterwäsche platziert
Dann öffnete er auf der Suche nach dem Schlafzimmer nacheinander alle Türen, bis auf eine, die abgeschlossen war. Sie führte vermutlich in den Keller, der sowieso kein guter Platz für seine Überraschungsgeschenke war.
Er holte die restlichen Kartons, schloss die Tür hinter sich, nahm die Deckel ab und entließ die aufgeregt quietschenden Tierchen in die vermeintliche Freiheit. Nachdem sie ein paar Stunden unter der quälenden Enge der Kartons gelitten hatten, flitzten sie jetzt ausgelassen in dem mit weichen Teppichen ausgelegten Raum herum. Der Mann schob die leeren Kartons unter das Bett, öffnete die Schlafzimmertür gerade so weit, dass er sich hindurchzwängen konnte, und schloss sie dann sofort wieder hinter sich.
Bevor er aus der Haustür trat, lugte er vorsichtig nach allen Seiten, aber es gab keinen Grund zur Beunruhigung: Die Straße lag nach wie vor ausgestorben und verschlafen da. Er würde das Grundstück so ungesehen verlassen, wie er es betreten hatte.
Zwei Straßen weiter verstaute er den Handkarren wieder im Kofferraum, setzte sich in den Wagen und fuhr mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, das auch mehrere rote Ampeln nicht vertreiben konnten, nach Hause. Zu gerne wäre er dabei gewesen, wenn dieses Arschloch Harry Shinder Bekanntschaft mit seinen neuen Mitbewohnern schloss.
Das Ganze war zwar nur eine winzig kleine Entschädigung für die Schmach, die ihm von Shinders Sender zugefügt worden war, aber es würde ja nicht die Letzte bleiben. Er hatte noch einige nette Überraschungen für Harry Shinder parat, und die größte würde gleichzeitig auch die Letzte sein. Die Allerletzte.
* * *
Die Straßen waren um diese Uhrzeit verstopft wie eine schlecht entkorkte Weinflasche, aber Harry war in Gedanken bereits bei einem Glas erlesenen Rotweins aus seinem wie einen Augapfel gehüteten Weinkeller und darum bester Laune. Der Jaguar wand sich wie von selbst durch den Verkehr, und eigentlich gab es nichts für ihn zu tun, als den Fuß locker zwischen Gas- und Bremspedal hin- und herpendeln zu lassen und die Bremslichter des Vordermanns einigermaßen im Auge zu behalten.
Der Tag war ziemlich anstrengend gewesen, es hatte einen aus seiner Sicht unverzeihlichen Patzer in der Vormittagssendung gegeben, und er hatte selbstverständlich ein so heftiges Zornesgewitter auf die Beteiligten niedergehen lassen, dass vermutlich noch jetzt der Brandgeruch in der Luft lag.
Seine goldene Regel im Umgang mit Mitarbeitern war: Zuerst einmal losschreien und erst dann die Betroffenen zu Wort kommen lassen – falls sie dann noch dazu in der Lage waren. Wer danach nicht so eingeschüchtert war, dass er sich wie vom Donner gerührt still auf seinen Platz oder aufs Klo zum Weinen verzog, sondern selbstbewusst mit Argumenten aufwartete,
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