Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
sie Caspar und die anderen Weber aus dem Niederdorf nur zur Warenabgabe oder an den Sonntagen in der Kirche erblickte. Aber die meisten Weber waren keine regelmäßigen Kirchgänger. Fromm ja, aber nicht häufig frühmorgens für den Kirchgang aus den Betten zu bewegen. Luisa konnte sich nicht entsinnen, Caspar Weber jemals bei den Andachten gesehen zu haben. Sie hatte wohl nie darauf geachtet.
„Was hat ein Huhn in der Stube verloren?“ Luisa vermied es, in Caspars Richtung zu sehen.
Er antwortete nicht. Sie schaute sich die Umgebindehäuser so aufmerksam an, als entdeckte sie ihre Schönheit, als spürte sie die von ihnen ausgehende Wärme gerade heute zum ersten Mal.
Er, vermummt in seine Kutte und seinen meterlangen Wollschal, sie, vergraben in ihrer Pelerine, den gefütterten Hut weit ins Gesicht gezogen, und Fleck, trippelnd wie ein Pferd im Paradeschritt, zwischen ihnen, gingen wortlos durchs Dorf. Caspar Weber schritt exakt bis zu ihrer Haustür neben ihr her und machte dann wortlos kehrt. „Vergessen Sie den Termin morgen nicht!“, rief sie ihm nach, weil sie das letzte Wort haben musste. Er zeigte nicht an, ob er sie gehört hatte und entglitt in die Dunkelheit.
Als er heimkam, drehte er Gertrude den Hals um.
„Ich brauch jetzt ein Bier“, knurrte sein Vater, kaum dass die Haustür von Liebig & Co. hinter ihnen geschlossen war.
„Ich brauch was Stärkeres.“ Caspar versenkte sein Kinn im Schal, den seine Schwester Elsbeth ihm gestrickt hatte, und stülpte die Kapuze seines Mantels über.
„Was nehmen die sich raus!“
„Nicht ärgern, Vater.“
„Was fällt denen ein!“
„In die Zunftstube will ich nicht, da ist bestimmt der Türpe.“ Von Heinz Türpe hatte er an diesem Nachmittag genug gehört. Und den Türpe wollte er nicht wieder in sein Leben reinlassen! Türpe! Ein Schlitzohr in Caspars Augen. Der mit seinem breiten, flachen böhmischen Mondgesicht.
„Sei nicht albern. Die Schänke ist groß genug für alle! Ich will ein Bier!“
Also stapften sie in Richtung Zunftschänke, vorbei am einzigen Steinhaus des Dorfes – abgesehen von der Kirche.
„Na? Fleißig Schnee schippen für den Mätzig?“
Das war für Caspars besten Freund Herrmann bestimmt, der mit seinen Kumpanen vor Christian Daniel Mätzigs Firmensitz Mätzig & Söhne emsig Schnee schippte. Der war einer der einflussreichsten Fabrikanten am Ort und der größte Konkurrent für Liebig & Co. Es war zwar verboten, aber die Verleger scheuten nicht davor, sich gegenseitig die Lohnweber abzuwerben. Leibeigenschaft, die Caspar anhing wie der Dreck an seinen Sohlen. Ihm hing das alles zum Halse heraus.
„Die Pu-hu-ten, die Pu-hu-ten, die machten breite Schnu-hu-ten“, sang der Herrmann feist und grinste.
„Sehr witzig, Herr Tkadlec, echt!“
Caspar wurde von Herrmann Tkadlec auf die Schulter geklopft. „Wir kriegen Schneezulage vom Mätzig. Fünf Pfennig.“
„Da macht ihr ja einen richtig guten Schnitt“, spöttelte Caspar, weil der Mätzig seinen Webern die Hälse abschnitt und die es nicht mal merkten. „Da kann man nur hoffen, dass es noch ganz viel Schnee für euch gibt diesen Winter.“
Herrmann grinste immer noch. „Und wo wollt ihr hin?“
„Bier trinken. Ohne Zulage, aber mit ganz viel Freizeit, weißt du?“
Dem Herrmann verging das Lachen. Er schaute erst auf seine Schneeschaufel, dann auf seine Kumpanen. Caspar bog sich beinahe vor Lachen, als Herrmann seine Schippe dem etwas beschränkten Meyer in die Hand drückte – „Hier, ich hab noch was bei dir gut, erinnerst du dich?“ – und den murrenden Meyer stehen ließ, um sich Caspar und seinem Vater anzuschließen. „Also, warum macht ihr so lange Gesichter?“
Sie hatten sich in Vaters Lieblingsecke ganz hinten in der Schenke verzogen. Caspar zog seine durchweichten Stiefel aus und stellte sie an den Ofen. Für die warme Suppe, die ihnen die Wirtin vorschlug, reichte es nicht, aber Gertrude sei Dank bekamen sie heute ja noch Hühnersuppe. Das Bier jedenfalls schmeckte eiskalt und frisch, genau wie es sein musste.
„Vom Liebig. Vorladung“, sagte Caspar mehr zu seinem Bier als zu Herrmann.
Fragezeichen auf Herrmanns Gesicht. „Der will, dass Caspar seinen Meister macht“, rülpste Friedrich Weber und wischte sich den Bierschaum ab.
„Das ist doch gut, das wollen wir doch alle, oder?“
Caspar starrte seinen Freund entgeistert an. Das Thema hatten sie schon hundertmal durchgekaut und Herrmann wusste, dass Caspar noch nicht
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