Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
zeigte sich an den sieben Grabhügeln, die wegen des Bodenfrostes noch immer nicht eingeebnet und mit Kreuzen bestückt werden konnten. Es hätte schlimmer kommen können. Sieben Leben waren eine verkraftbare Schlussrechnung.
Luisa lauschte mit Erleichterung dem Sickern des Tauwassers, dem Rumpeln der Schneebretter, die trotz Lawinenbalken vom Dach ihres Hauses rutschten, sie genoss den einbrechenden Frühling, aber sie wusste, bis zu den Eisheiligen durfte man der lauen Brise nicht trauen.
Der letzte Sonntag mit Vater, bevor er nach Prag aufbrach. Luisas Mutter hatte kein anderes Thema. Und so oft ihr Vater schon auf Reisen gewesen war, war ihre Mutter jedes Mal ein Nervenbündel, wenn er nach Böhmen und Mähren fuhr. Sie hatte mit Pfarrer Sälar vereinbart, er möge den Gottesdienst ein wenig auf Vaters Reise abstimmen.
Auf dem Kirchplatz beobachtete Luisa von Weitem die Familie Weber. Caspar Webers Anblick versetzte ihr einen Stich ins Herz, weil er so stark und so liebenswert aussah, wie er da mit dem ihm eigenen unbewussten Stolz mit seiner kleinen Schwester schäkerte. Sie hatten ja keine Ahnung! Ab morgen würde es weniger zu lachen geben bei ihnen zu Hause. Und es war Vaters Schuld, nein Liebigs Schuld, oder Hallers. Nein, Vaters Schuld. Luisa fühlte sich ganz elend.
Obwohl Luisa schon oft allein die Arbeit im Kontor verrichtet hatte, wünschte sie sich dieses Mal, Vater würde nicht fahren oder wenigstens bis morgen Abend warten. Morgen war Montag. Montag war Warenannahme. Morgen waren die Ostritzer Tücher fällig. Morgen würde sie dem Meister Weber keinen neuen Auftrag geben können. Morgen verbannte sie den besten Damastweber und seine achtköpfige Familie an den Leinewebstuhl. Ihr war zum Heulen. Schnell trippelte sie hinter ihrem Vater her, um sich hinter dessen massigem Rücken zu verstecken, aber zu ihrem großen Unglück musste ausgerechnet heute der Meister Weber ihren Vater quer über den ganzen Kirchhof anrufen.
Vater blieb stehen, sein Gesicht hellte sich auf, so unbedarft. Das, was den Webers bevorstand, war ihm gar nicht im Gedächtnis.
„Alles Gute für Ihre Reise.“
Ihr Vater bedankte sich freundlich beim Meister Weber, der nickte höflich zu Luisa und den Mädchen und zu ihrer Mutter, die den Häusler abfällig musterte. Luisas Blick huschte unwillkürlich zu Caspar Weber hinüber, der sich abseits hielt, seiner munter schwatzenden Schwester wohl kaum mehr zuhörte und Luisa so ansah wie ihre Mutter den Meister Weber: wie ein schleunigst zu zerquetschendes Spinnentier. Ihr war ganz schlecht.
„Und ich hab mich noch gar nicht für die Arnika-Tinktur bedanken können, dabei ist es schon so lange her“, hörte sie Meister Weber reden, beobachtete aber verhohlen dessen Sohn, der jetzt mit einem der anderen jungen Häusler redete. Über sie und ihre Familie redete. Das erkannte Luisa genau, weil der andere, der Herrmann Tkadlec, ungeniert immer wieder in ihre Richtung starrte. So ein mulmiges Gefühl. Das wollte nicht mehr so recht von ihr weichen.
Am Nachmittag brach Vater nach Prag auf und hoffte, mit neuen Mustern und Aufträgen heimzukehren.
Während seiner Abwesenheit nahm Luisa wie immer den Platz des Sohnes ein, der ihren Eltern nie geschenkt worden war. Ihre Mutter hatte den Kampf gegen die Expedientenschule zu einer Zeit verloren, als die ersten Mädchenpensionate aus dem Boden schossen. Anfangs noch hatte sie die Gouvernante gespielt, während Luisa in Vaters Kontor ihren Mann stand. Mit der Zeit, als die Langeweile gegen die erzieherische Maßnahme siegte, widmete sich ihre Mutter ansprechenderen Tätigkeiten und Luisa hatte ihre Ruhe im Kontor.
Von ihren vier Schwestern wurde sie insgeheim belächelt. Ludovike, Josephine, Auguste und Stephanie benahmen sich kaum anders als die Weber: Luisa wurde zwar in ihrer Stellung gebilligt, nicht aber respektiert. Erst recht zogen sie sie auf, weil man Luisa im Dorf neuerdings als Samariterin verspottete und „Annika“ nannte.
Wenigstens trug Luisa keinerlei Verantwortung. Ihr Befugnisbereich war sehr eng gesteckt. Sie arbeitete die Aufgabenliste ab, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Luisa wusste, dass zumindest die Weber nach dessen Rückkehr den Expediteur aufsuchen würden, um sich zu vergewissern, dass die Expediteurin alles richtig verrechnet hatte. Damit hatte sie zu leben gelernt. Ein Meister Weber war nie zu ihrem Vater scharwenzelt, um Luisas Arbeit in Frage zu stellen. Zumindest bisher nicht.
„Mutter, ich
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