Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
tat ihm so entsetzlich weh, seine kleine Schwester weinen zu sehen. Sie konnte nichts dafür. Sie konnte für gar nichts irgendwas. Was für eine beschissene Scheißwelt!
Und dann tat er etwas, was er noch nie getan hatte: Er nahm den Lederriemen des Hundes und verschwand mit dem Tier nach draußen. Nicht aber zu den Treuentziens ging er, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Er wollte weg, weg, weg! Durfte aber nicht, per Gesetz, bei Strafe!
Bis zum Hang am Hofeberg kam er und ging dann wieder in östliche Richtung auf den Hutberg. Es war heiß. Aber nicht einmal der Schweiß, der seinen Rücken hinabrann, und nicht das Herz in seiner Brust, das heftig schlug, belebten ihn. Erschöpft hockte er sich auf einen lichten Plan. Fleck, dem der lange Spaziergang in der Sommerglut recht wenig gefallen hatte, ließ sich neben ihm ins Gras plumpsen und hechelte zum Gotterbarmen. Caspar ließ sich dazu hinreißen, den Hund zu streicheln.
„Armer Kerl, hat keiner Zeit für dich?“ Das sprach er zynisch.
Dem Hund war es egal.
„Herr im Himmel!“
Oh Gott, was will die?! Caspar sprang auf, als er die Stimme, mit der er zuletzt gerechnet hatte, hörte.
„Was ficht mich an, Ihnen auf den Berg zu folgen?“ Luisa Treuentzien japste, während sie die letzte Steigung nahm. Sie blickte nicht auf, sondern stürzte sich auf ihren Hund. Sie trug einen Strohhut mit bernsteinfarbenen Bändern. Das Kleid war bernsteinfarben. Alles an ihr sah nach Bernstein aus. Der Hund schlabberte ihre Hände und sogar ihr Gesicht ab, wogegen sie machtlos zu sein schien und was Caspar mit leichtem Ekel beobachtete. „Wo steckt Sophie?“
„Ähm ...“
„Nicht in der Schule, wie ich vom Unterschulmeister gehört habe. Die dritte Woche schon nicht in der Schule!“
Caspar starrte das Frauenzimmer an, das unermüdlich redete.
„Und lässt sich von anderen ihre Aufgaben erledigen? Herr Weber, Sie sollten nicht Sophies Verpflichtungen übernehmen! Oder war Ihnen langweilig? Oder vielleicht ist der Spaziergang mit Fleck gar die pure Langeweile, die zwangsläufig auf einen Genuss folgt? – Mal überlegen, was könnte der Genuss gewesen sein? Vielleicht die Fertigstellung meines Tuches?“ Sie jauchzte. Was gab es da zu jauchzen? Sie freute sich und beugte sich wieder über Fleck, um ihm das Fell zu zerzausen.
Caspar wäre gern an der Stelle des Hundes gewesen. Der Hund wackelte mit seinem gesamten Hinterteil, während er sich von seiner Herrin kraulen ließ. „Machen Sie das öfter?“, fragte sie und wartete nicht auf eine Antwort. „Das sollten Sie auch! Spaziergänge sind gut, wenn man den ganzen Tag sitzen muss. Ich weiß übrigens, wovon ich spreche, denn ich saß seit heute Morgen sieben Uhr hinterm Schreibpult und könnte schwören, in meinem Kreuz steckt ein Halbellen-Lineal! Und auf den Genuss der Rechnungsbücher folgt nun die Langeweile des Spazierengehens. Ach nein, anders herum!“ Sie lachte.
Herr im Himmel, hatte die Frau ein Lachen! Glockenhell, lieblich, strahlend golden! Er war überwältigt und von Stummheit geschlagen.
Sie ließ einen Moment vom Hund ab und musterte Caspar von oben bis unten. „Das war ein Scherz.“
Caspar rührte sich nicht, er konnte es einfach nicht. Lach noch mal, oh bitte. „Haben Sie Ihren Humor irgendwo verloren oder Ihre Zunge verschluckt oder beides!?“
Caspar schüttelte den Kopf.
Unter Luisas rechtem Arm klemmte eine Zeichenmappe, in deren Riemchen eine Matte voller Stifte steckte.
„Geben Sie ihn mir, sonst lassen Sie noch alles fallen.“
Sie zeigte ihre Wahnsinnsgrübchen und ließ ihm bereitwillig den Hund. „Sie müssen nicht mit mir ins Dorf zurückgehen, wenn Sie lieber noch ein bisschen hierbleiben wollen. Fleck hier sollte aber mit nach Hause kommen, es ist sehr heiß, nicht wahr?“
„Das hat der August so an sich.“ Caspar erntete einen abschätzigen Blick aus Luisas bernsteinernen Augen. Er schwieg.
„Ersparen Sie mir Ihren Sarkasmus, den kann ich heute nicht gebrauchen. Ich hab zu gute Laune. Kommen Sie nun mit oder nicht?“
Caspar ging mit.
Vom Mandautal stieg heiße Luft zum Berg hinauf; sie hatte jeden Duft nach Wasser und Blumen verloren und roch jetzt nach ausgetrockneten Kienäpfeln. Er merkte es nicht gleich, aber plötzlich stand er allein ohne Luisa auf dem von knorrigen Wurzeln zerfurchten Pfad. „Wollen Sie nun doch nicht runtergehen?“
Sie blickte, nein starrte zum Fuße des Pfades. Er fing ihren Blick. Das Armenhaus; dunkelbraun gebeizt, und
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