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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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vier – vier! – entfalteten Papierbögen auf ihrem Bauch. Sie begann zu lesen und die kühle Distanz seiner Worte kränkte sie beinahe. Sie setzte sich auf und las den Brief in seiner ernüchternden Gänze. Da stand nichts geschrieben vom Heldenmut und Eigenlob eines in sein Fach vernarrten Studenten, sondern viel von ihr und ihrem Zweifel an ihm. Vieles, worüber sie nachdenken musste, während sie die verbleibenden Wochen ihrer Freiheit auskostete. „Unsere Ehe wird ein Hort der Achtung sein. Hinwendend mit Ehrfurcht durchmesse ich unsere gemeinsame Zukunft mit geduldigem Auge.“ Tränen bissen jetzt in ihren Augen.
     

     
    Und der Obermeister Türpe verbiss sich in Caspar, dem er abnötigte, sich öffentlich bei ihm zu entschuldigen. Und während Türpe sein Veilchen unter der verschorften Augenbraue zur Schau stellte, trampelten die anderen auf den siebzig Ellen, die Meister Friedrich abgegeben hatte, herum, weil die nicht den vorgegebenen achtzig entsprachen.
    Siebzig Ellen also. Für Caspars Familie nur einhundertvierzig Pfennige, was vierzehn Groschen entsprach und das wiederum nicht einmal ein halber Taler war, wofür Maria Weber gerade mal einhundert Gramm Rindfleisch hätte kaufen können, hätte nicht Caspar zwanzig Pfennige Bußgeld in die Innungslade zahlen müssen und sieben Pfennige versoffen an jenem Sonntagabend.
    Sie hatten die achtzig nicht geschafft, weil Caspar nicht mitgemacht hatte. Er war herumgestreunt und erst spät nachts angetrunken heimgekehrt. Wie ein Geächteter hatte er sich heimlich in seine Kammer geschlichen und bis weit in den Tag hinein geschlafen. So lange geschlafen, bis sein Vater und Balthasar längst von der Abgabe zurückgekehrt waren. Blieben also einhundertdreizehn Pfennige, für die es kein Fleisch zu kaufen gab und mit denen Maria Weber unmöglich eine Woche lang eine achtköpfige Familie hätte ernähren können. Und wieder hätte sie unter Tränen ihren gut betuchten Erstgeborenen Clemens angeschrieben.
    Aber sie schrieb keinen Brief, sondern kochte Fleischbrühe mit böhmischen Klößen und Kraut. Zum Nachtisch buk sie Plätzchen, obwohl weder Weihnachten noch die Vogelhochzeit vor der Tür standen. Dass sich alle satt essen konnten, ermöglichte einzig der Treuentzien’sche Notgroschen. Ein sehr beträchtlicher Notgroschen. Aber trotz der Schlemmereien hellte sich Caspars Stimmung nicht auf. Er wurde nicht verschont – nicht von seinem Vater, nicht von seiner Mutter, nicht von Agnes. Nur Balthasar und Elsbeth hatten Verständnis. Sophie bekam sowieso von gar nichts was mit, denn sie bemitleidete nur sich selbst, weil sie nicht zur Schule gehen konnte, sondern Leinwand zu machen hatte.
    Achtzig Ellen. Wieder achtzig Ellen. Auch diese Woche wieder.
    Caspars üble Laune hielt tagelang an und galt besonders dem Leinewebstuhl, an dem zu arbeiten er verabscheute. Es war eine Arbeit, monoton und langweilig, seiner unwürdig. Aber er war der Schnellste von allen. Er machte Leinwand wie im Schlaf, während Luisa Treuentziens Gesicht unter einem Tüchlein verborgen lag. Seine Wut ließ er am Leinewebstuhl und seinen jüngsten Geschwistern aus. Besonders an Sophie, deren Schützling mit Unschuldsmiene in der Stube herumtaperte, wenn das Mädchen zu faul war, mit ihm spazieren zu gehen.
    Freitag, der Dreizehnte.
    Noch zwei Tage bis Mariä Himmelfahrt. Caspar empfand die Zustände zu Hause als unerträglich. Seine Seele hockte in seinen Knochen und nagte an ihnen, dass es schmerzte. Er fühlte sich tot und leer wie seit langer Zeit nicht mehr, dünn wie Pergament, an dem schon Mäuse knabberten.
    „Die Treuentzien hat gesagt, du sollst mit dem Köter rausgehen und ihn nicht den ganzen Nachmittag in der Stube herumlungern lassen, wo wir ihm auf die Pfoten treten!“
    „Ich muss aber noch die Rechenaufgaben machen, sonst komm ich nicht mit den anderen mit, Caspar!“
    „Du brauchst nicht mit den anderen mitzukommen, weil du nicht mehr zur Schule gehst, verstehst du?“
    Sophie begann zu weinen. „Das stimmt nicht, Mama, oder?“
    Mutter schwieg.
    Caspar nahm die paar Schritte, die ihn vom Hund trennten: „Den bring ich jetzt zurück und deine Schulbücher nehm ich mit!“ Das Quieken seiner Schwester, die sich mit der Inbrunst einer Beschützerin über die Bücher auf dem Tisch warf, das verhaltene Schimpfen der entsetzten Mutter und das Winseln des Hundes, der all seine Sinne freudig erregt auf den Riemen in Caspars Hand konzentrierte, riefen ihn zur Besinnung. Es

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