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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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hingen. „Es ist in meinem Interesse wie in dem euren, dass jeder von euch Arbeit hat. Ich kann mir keine Aufträge aus den Rippen schneiden. Die Leute wollen nicht mehr Leinen, sondern Baumwolle, und sie wollen nicht mehr so viel Geld für Atlas ausgeben, weil es Jacquard-Billigware für jedermann zu kaufen gibt.“
    Ludwig Treuentzien zog an seiner Pfeife. „Wir brauchen die Hilfe des Zittauer Rates. Wir brauchen Finanzhilfe, damit wir unsere Produktion aufrechterhalten können, damit Haller und ich Fahrten an die Adelshöfe unternehmen und für unseren Damast werben können, damit Häusler wie Kerner oder Weber eben nicht ohne Aufträge dastehen und Leinwand machen müssen! Glaubt mir, die Verleger nehmen von den Damastwebern nicht gerne Leinwand ab, weil die einen halben Pfennig mehr kostet. Die Verleger sehen ihre Damastweber lieber Damaste weben!
    Es ist nicht die Schuld der Verleger, sondern gewisser Exekutivbeamter, die sich im Nichtstun üben, während die Leute am Hungertuch nagen. Zu unseren Aufgaben gehören Korrespondenz, Visiten, Konjunktur – so etwas! Aber nicht Prügeln, Zertrümmern und Brandschatzen wie anderswo. Das hat hier nichts zu suchen.“
    Wieso sollte das ausgerechnet hier nichts zu suchen haben? Caspar sah sich um. Die Menschen waren so frustriert, dass sie sich sogar mit Funkenklatschen bewaffnen würden, um zu revoltieren.
    Und noch am selben Abend, aufgeputscht vom Bier, betrunken vom Reden, machten sich die Männer auf den Weg ins Mitteldorf und belagerten das Haus von Christian Daniel Mätzig. Das war, als Ludwig Treuentzien schon längst den Heimweg angetreten hatte.
    Es waren achthundertneunundvierzig Damastwebergesellen, dreiundneunzig Zieher, sechzig Treter, sechsundsiebzig Lehrlinge, zwölf Webstuhlbauer, fünf Blattbinder, fünf Mustermaler, neun Mustermacher und zweihundertdrei Damastwebermeister, die aus ihren Häusern und Werkstätten herauskrochen, um sich einem wütenden Tross anzuschließen.
    Ein brüllender Lindwurm, Stacheln in die Höhe gereckt: Forellenstecher, Sauspieße, Einreißhaken und Zimmermannsbeile. So schlängelte er sich durchs Dorf und wurde fetter und fetter. Caspar dachte darüber nach, sich vom Zug zu entfernen, nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen. Doch seine Wut war nicht zu bändigen. Er ging nicht nach Hause.
    Du siehst dir die Sache nur an und dann gehst du heim, sprach er zu sich und hob auch schon den ersten Stein im Vorübergehen auf, einen dicken Stein für Hermine, die er hatte heiraten wollen, aber nicht können, weil ihm die Verleger nicht den Meistergroschen übrig lassen wollten. Einen weiteren Stein hob er auf für Albert Wanger, der Tag und Nacht gewebt hatte und dann doch an den Leinenfasern krepiert war. Der nächste Stein galt seinen Geschwistern. Und so hatte er die Taschen voll, noch bevor sie sich dem Hause des Christian Daniel Mätzig angenähert hatten.
    „Die Weber werden geschlagen sein, und alle, die um Lohn arbeiten, sind bekümmert. Die Fürsten von Zoan sind Toren, die weisen Räte des Pharao sind mit ihrem Rat zu Narren geworden“, ging es im Chor. Und alle wussten, der König in Dresden würde sich ihrer erinnern.
    „Gebt das Geld heraus, das ihr uns schuldet!“, brüllten der Obermeister und viele andere mit ihm, als sie vor dem Hause angekommen waren, was idiotisch war, denn bis auf ein paar arme, verhuschte Dienstboten war niemand da. Trotzdem stellte sich Caspar ans Mandauufer, wo sich ihm eine vortreffliche Flugbahn für seine Steine bot, die er in einem seltsamen Rausch, gebraut aus Stolz, Wut und Machtbewusstsein, gegen die Fenster des Verlegers Mätzig schleuderte. Er schleuderte sie gegen die Türen, gegen das Ziegeldach, gegen das Gartentor und gegen das blank geputzte Messingschild des Verlegers. Er wollte seine Wut loswerden. Er wollte wieder klar werden im Kopf, wollte sich einmal nicht beugen, wollte nicht der genasführte Junge sein, dem es immer so ergehen würde, wie es ihm ergangen war. Er wollte raus, raus, raus! Raus aus dem Kaff, in das er eingesperrt war, weil der Zittauer Rat es den Damastwebern zum Wohle der Wahrung von Zunftgeheimnissen verboten hatte, das Dorf zu verlassen.
    Caspar hatte erst bemerkt, dass er gebrüllt hatte wie ein Berserker, als sein Hals zu kratzen begann. Aber das reichte nicht. Er wollte Befriedigung von dieser Wut, die ihn nicht in Ruhe ließ, die ihn nicht in Ruhe gelassen hatte seit drei langen Jahren, die ihn nicht in Ruhe lassen würde, wenn er ihr

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