Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Herrmann grinste und Caspar beschlich das Gefühl, dass nicht nur er an diesem Vormittag ein kleines Stelldichein gehabt hatte. „Weißt du, Caspar, womit ich diese Woche verbracht hab?“
Caspar schüttelte den Kopf, obwohl er die Antwort kannte.
„Also ...“, sagte Herrmann, begleitet von einem neuerlichen Rülpsen. „Vormittags Schneeschippen. Nachmittags Leinwand. Abends Halle fegen. Prost! Wie, bitte, soll ich deine Schwester ernähren, wenn wir erst mal verheiratet sind, hä?“
„Von Leinwand kann man auch leben, Mensch, das müssen doch Hunderte. Du wirst dir schon nichts dabei abbrechen!“
„Natürlich, das sagt der ... der Damastweber!“
Caspar erhob sich. Er wollte nicht bleiben, wenn das Gespräch in Streit umschlug. Herrmann war schnell mit salbenden Entschuldigungen, Caspar aber war enttäuscht. Derlei Anklagen hatte er von seinem zukünftigen Schwager nicht erwartet.
„Du meldest mit dem nächsten Auftrag dein Meisterstück an, sagt der Liebig, sagt der Mätzig, sagt der Türpe – alle sagen das!“ Herrmann drückte Caspar zurück auf den Stuhl. „Und unsereiner? Was ist mit meinem Meisteramt?“
„Dein Vater war nie Meister. Du hast kein Anrecht.“ Caspar war es jetzt egal, ob er Herrmann mit solchen Worten verletzte.
„Aber Elsbeths Vater ist Meister, also hab ich doch ein Anrecht!“ Herrmann hatte weniger wütend als vielmehr trotzig geklungen.
„Aber erst, wenn ich fertig bin. Herrmann, was soll dieses schwachsinnige Gerede!“
„Ich mein ja nur.“ Der andere knetete seinen Nacken, reckte sich in der Bank. Caspar hatte Herrmann nie für einen Missgönner oder Neider gehalten. Zum ersten Mal war ihm der Verlobte seiner Schwester unangenehm. „Du arbeitest beim Mätzig, da brauchst du kein Meisteramt.“
Herrmann schluckte lange an seinem Bier. „Aber du, wie? Noch nich mal den Radisch haste losgeschickt zur Emilie wegen dem Aufgebot. Was willst du für ein Bräutigam sein?“ Herrmann war betrunken, jetzt aber wurden seine Augen klar: „Emilie Schiffner verbreitet Geschichten, Caspar.“
„Was für Geschichten?“
„Sehr, sehr unschöne Geschichten.“
Mehr bekam Caspar nicht aus Herrmann heraus. Er verabschiedete sich bald, schob das Gerede beiseite und arbeitete zu Balthasars Leidwesen den übrigen Sonntag lang am Damast. Caspar und der Vater wechselten einander ab und zogen die Fäden in nie dagewesener Geschwindigkeit. Sie waren schnell. Sie würden fertig werden bis zum neunzehnten Dezember. Sie schafften es und Luisas kurze Besuche versüßten ihm die Arbeit.
Eine Woche später, am Vorabend des vierten Advent, holte Caspar Herrmanns unheilvolle Ankündigung ein.
Bertolt Schiffner saß an Friedrich Webers Stubentisch, trank dessen Bier und redete über Caspar, als sei er gar nicht da. „Den Radisch solltet ihr noch dieses Jahr zu uns schicken wegen dieser Sache.“
Sein Vater nickte, aber Caspar wollte nicht wahrhaben, dass der dem Dorfklatsch glaubte! „Und das, was sie erzählt, stimmt?“
„Emilie wird es wohl am besten wissen, Friedrich.“
Caspar ballte die Hände zu Fäusten. „Sie lügt, Vater.“
Der Schiffner schnappte nach Luft, weil er gegen Caspars Verleumdung protestieren wollte. Sein Vater beschwichtigte ihn.
„Ich hab dich gewarnt!“, fauchte seine Mutter, bevor sie übertrieben laut die Tür hinter sich in den Rahmen warf, um in der schwarzen Küche am Ofen herumzuwerkeln. Das Scheppern ihrer Töpfe war viel lauter als üblich, und wenn sie dann zurück in die Stube kam, schenkte sie dem Gast missbilligende Blicke.
„Ich hab doch gesagt, dass ich Emilie nicht heiraten möchte, Vater. Ich hab mich dran gehalten, weißt du noch, was du Anfang des Jahres gesagt hast? Sie lügt!“
„Ich glaube meinem Sohn“, mischte sich seine Mutter ein, obwohl sein Vater zum Reden ansetzte. Der steckte seinen halb geöffneten Mund vorerst in den Bierkrug und nickte. „Ich glaube ihm, Bertolt. Ich denke sowieso, Caspar hat auf jemand anderen ein Auge geworfen.“
„Mama!“ Caspar flehte sie an, den Mund zu halten. Was ging sie das überhaupt an?!
„Ist doch wahr!“ Damit stapfte sie wieder aus der Stube.
„Auf wen?“, wollte sein Vater wissen.
Caspar vergrub seine Augen hinter seiner Hand, mit der er sich die Nasenwurzel rieb.
„Völlig egal, Friedrich“, entschied der Schiffner. „Caspar muss den Radisch zur Emilie schicken!“
Die neuerliche Stille wurde vom Klopfen an der Haustür unterbrochen. Caspar konnte unmöglich
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