Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
„Irgendwas stimmt doch nicht!“ Stille. „Caspar?“ Der schüttelte den Kopf, verbarg ein Husten in seinem Ärmel.
„Wir waren beim Kettreiger, Fräulein Treuentzien“
„Balthasar!“ Caspars Augen verengten sich.
„Ist doch egal, Caspar, sie will wissen, warum wir wieder mit dem Tuch hinterher sind! Das war übrigens auch der Grund, warum wir so spät angefangen haben zu weben.“
„Balthasar!“ Caspar setzte zum Maßregeln an, hustete abermals in seinen Ärmel und ging in die Hocke, weil irgendwas mit den Tritten nicht stimmte.
„Weil der Kettzwirn vom Leinewebstuhl so häufig bricht“, erzählte Balthasar weiter. Er kam in ein Alter, wo er sich nicht mehr bevormunden ließ.
„Und deshalb“, Caspar kam wieder hoch, „haben wir tagelang keinen Damast gemacht.“
Luisa konnte das Problem lösen: „Wir haben Güteklasse A im Kontor, das weiß ich, weil ich den Zwirn ins Warenlager habe überführen lassen!“
„Schön für dich!“ Caspar grinste verbittert und gab Balthasar ein Zeichen, woraufhin jener den ersten Latz anzog, damit sie mit dem Weben beginnen konnten. „Aber vom Liebig kriegen wir keinen Kettzwirn mehr.“
„Was? Das kann ja nicht sein.“
Caspar seufzte und ließ die Schussvorrichtung auf den Brustbaum zurücksinken, woraufhin auch Balthasar den Latz wieder ablegte. „Doch. Wir kriegen keinen Kettzwirn mehr vom Liebig, sondern nur noch bei Mätzig oder in Zittau auf dem Markt.“
„Caspar, ich verstehe kein Wort! Habt ihr mit meinem Vater gesprochen?“
Caspar schüttelte knapp den Kopf.
„Mit Liebig?“
Wieder das Kopfschütteln.
„Wieso nicht? Ihr macht für Liebig & Co. die Leinwand! Er muss euch den Kettzwirn dafür geben.“
„Nicht, wenn wir auf Rechnung arbeiten.“
Stille.
Luisa schnappte einige Male nach Luft, bekam aber kein Wort heraus.
Caspar erhob sich vom Webstuhl.
Luisa beobachtete, wie er am Wärmeröhr der Ofenwand seiner gewohnten Aufgabe nachging. „Auf Rechnung?“ Ihre Stimme war leise und hell.
Caspar stand noch immer mit dem Rücken zu ihr und seinem Bruder und beorderte diesen hinaus. Balthasar folgte der Aufforderung und schloss leise die Stubentür hinter sich.
„Du hattest nicht vor, mir davon zu erzählen, oder?“
Caspar stellte zwei Becher mit Kräuteraufguss auf den Tisch, zog einen Stuhl zurück und wartete, bis Luisa sich hingesetzt hatte, bevor auch er Platz nahm.
„Wieso macht ihr Leinwand auf Rechnung? Ihr seid Lohnweber!“
„Gewesen!“
„Wieso?“
„Der Liebig hat uns gekündigt.“ Caspar sah Luisa eindringlich in die Augen.
„Wann?“
Er kalkulierte seine Antwort, das sah sie, während er langsam den Tee trank und vor sich hinsah. „Im November, vor zwei, drei Wochen ungefähr.“
„Wieso habe ich das nicht mitgekriegt? Wieso steht das nicht in den Büchern?“ Sie sprach mehr zu sich als zu Caspar. Sie ließ den Kopf nach vorn sinken und verbarg das Gesicht in den Handflächen. Caspar rutschte dicht an Luisa heran, legte den Arm um sie und lehnte die Stirn gegen ihre Schläfen. „Das muss doch in den Büchern stehen. Ich versteh gar nichts mehr.“ Er kraulte ihr Nackenhaar, küsste ihre Schläfen.
Woche für Woche hatte sie von Meister Weber Leinwand abgenommen, geprüft, in die Bücher eingetragen, und ihr war es entgangen, dass Liebig & Co. die Leinwand annahm, weil sie die Beste am Ort war, und nicht, weil Liebig & Co. dazu verpflichtet waren. „Dein Vater ist zum Rechnungsweber gesunken und ich bekomme davon nichts mit!“
„Gesunken!“ Er entließ sie aus seiner Umarmung. „Luisa, du sagst das so, als habe er eine ansteckende Krankheit. Lass meinem Vater bitte etwas Würde, indem du ihm dieses Gesicht nicht zeigst!“
Luisa schämte sich plötzlich ihrer Arroganz. Sie entschuldigte sich bei Caspar und wollte im Boden versinken. Vielleicht trugen die Rechnungsweber mehr Würde als die behüteten Lohnweber, die sich auf die Auftragslage ihrer Verleger verlassen konnten, anstatt ins Blaue hinein zu weben. „Ihr braucht Liebig & Co nicht und ihr braucht Mätzig & Söhne nicht! Ich besorge euch Aufträge, du wirst schon sehen.“
Jetzt sah Caspar sie prüfend an, seine Augen wanderten auf ihrem Gesicht umher. „Du meinst, du willst so weitermachen?“
Sie nickte. Es war ihr Traum. Ihre Vision. Sie wollte die besten Damaste machen. Zusammen mit den besten Damastwebermeistern. Sie hatte viel vor. Zugegeben, zunächst hatte sie keine Ahnung, woher sie weitere Aufträge erhalten sollte,
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