Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tuchhaendlerin von Koeln

Die Tuchhaendlerin von Koeln

Titel: Die Tuchhaendlerin von Koeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Kuhlbach-Fricke
Vom Netzwerk:
unabkömmlich ist.« Er ging die Treppe hinunter und öffnete. Dann hörten wir eine sich überschlagende Stimme etwas Unverständliches heraussprudeln und dann ein entsetztes »Oh Gott!« von meinem Vater.

    Erschrocken starrten Mutter und ich uns an. Dann hörten wir Vater wieder heraufkommen, mit schwerem, langsamem Schritt. Vor der Kammer hielt er noch einmal inne, wie um seine Botschaft hinauszuzögern. Dann kam er herein, trat auf mich zu und sah mir kummervoll ins Gesicht.
    »Kind, du mußt jetzt tapfer sein«, sagte er behutsam. »Sehr, sehr tapfer.«
    Entsetzt rief ich: »Ist etwa Großvater etwas zugestoßen?« Vater schüttelte den Kopf. »Wieso Großvater«, sagte er. »Es ist dein Bräutigam Gerard.«
    Ich verstand nicht. Gerard hatte mir am Morgen noch einen Boten geschickt, daß er mich am Nachmittag aufsuchen wolle. Ich hatte geseufzt, denn es war noch soviel zu erledigen vor dem morgigen Hochzeitsfest, und ich hatte eigentlich keine Minute übrig. Er konnte doch nicht inzwischen erkrankt sein?
    Fragend und bang sah ich Vater an. »Gerard wollte dir eine Freude machen. Er hat ja kaum je das Haus betreten, ohne dir eine kleine oder größere Liebesgabe mitzubringen. Heute wollte er dir die ersten reifen Äpfel schenken. Er kletterte immer höher in den Baum, denn die schönsten Früchte hingen weit oben. Dann ist er auf einen dünnen Ast gestiegen. Er brach, und Gerard stürzte in die Tiefe.«
    Mein Herz fing an, wie eine Trommel beim Leichenzug zu schlagen, ganz langsam und heftig: drrrum - drrrum - drrrum. Ich fragte noch: »Ist er schwer verletzt?« Aber ich kannte schon die Antwort, ehe Vater tiefbetrübt den Kopf schüttelte.
    »Er hat sich das Genick gebrochen. Gott sei seiner armen Seele gnädig und nehme ihn zu sich in sein himmlisches Reich.«
    Ich schrie nicht. Ich fiel nicht in Ohnmacht. Ich atmete tief auf, nahm Mutter mein Hochzeitskleid aus der Hand und griff mir ihre große Schere aus dem Nähkorb. Langsam
schnitt ich das Kleid entzwei. Ich sah, wie Vater mir in den Arm fallen wollte und Mutter ihn mit festem Griff zurückhielt. Noch ein Schnitt und noch einer. Immer rascher schnitt ich. Mir kamen keine Tränen, aber ein trockenes, schmerzhaftes Schluchzen schüttelte mich. Der Boden der Kammer war von den Fetzen der kostbaren weißen Seide übersät wie von häßlichen Schneeresten. Ich sah mich nach dem roten Samtumhang um, um ihn auch zu zerschneiden, aber der war verschwunden, Vater hatte ihn mit einem raschen Griff vor mir versteckt. Ich schleuderte die Schere auf den Boden, rannte zur Tür hinaus und hinüber in die Schlafkammer, die ich mit Lisa teilte. Dort warf ich den Riegel vor die Tür und schluchzte weiter. Ich hörte Mutter an der Tür klopfen und um Einlaß bitten, aber ich konnte mich nicht rühren. Endlich ging sie fort. Eine lange Zeit verging, der Nachmittag war vorbei, und die Abenddämmerung setzte ein. Da klopfte es wieder an der Tür. »Mach auf, meine Sophia«, hörte ich die ruhige Stimme meines Großvaters. Ich gehorchte.
    Großvater trat ein. Ich sah, wie Mutter ihm über die Schulter spähte, aber er schüttelte den Kopf und schloß die Tür hinter sich. »Komm in meinen Arm, mein Kind«, sagte er. Ich ließ mich an seine Schulter sinken, an meiner Wange kratzte sein kurzer weißer Bart, und nach einer Weile ließ das würgende Schluchzen nach. Großvater sagte nichts und wiegte mich nur sanft.
    »Ich habe ihn umgebracht, dafür komme ich in die Hölle«, stieß ich schließlich hervor. Meine Stimme klang ganz fremd. Großvater sagte noch immer nichts und wiegte mich ruhig weiter. »Ich habe ihn umgebracht, aber das wollte ich doch nicht«, sagte ich noch einmal, weil ich dachte, er hätte mich nicht verstanden.
    »Du hast nichts mit seinem Tod zu tun. Er ist vom Baum gestürzt. Es war ein Unglücksfall. Du warst gar nicht in der Nähe«, sagte Großvater ruhig.

    »Aber ich habe zu Gott gebetet, er solle sich einen Weg einfallen lassen, damit ich Gerard nicht heiraten muss, und nun ist er tot«, flüsterte ich. Es war eine Weile still in der Kammer. Großvater fragte nicht danach, warum ich denn plötzlich von einer Ehe nichts mehr wissen wollte, der ich doch vor einigen Monaten selbst zugestimmt hatte. Aber als ich schon dachte, er werde mir gar nicht antworten, sagte er sanft: »Mein kleines Mädchen, du bist nicht wichtig genug, daß Gott wegen deiner törichten Bitte einen Menschen vernichten würde, den er doch als sein Geschöpf liebte. Gerard stürzte

Weitere Kostenlose Bücher