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Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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»Jetzt lass mich frei!«
    Ich fühlte mich, als würde ich in ein bodenloses Loch stürzen, doch dann hob ich die Finger an meine Lippen und pfiff. Sofort trottete Cinnabar herbei. Aus der Satteltasche kramte ich Kates Salbe hervor und das Leinentuch, das sie für meine Schulter eingepackt hatte. Dann beugte ich mich über Stokes, zog ihm die blutverschmierte Hose herunter, schnitt den Pfeil am Schaft ab, trug die Salbe auf und versorgte die Wunde. Danach drehte ich den zweiten Pfeil aus Umhang und Boden heraus.
    Ich blickte ihm in das aschfahle Gesicht. »Ihr braucht trotzdem noch einen Chirurgen, der Euch die Spitze herausschneidet. Seht zu, dass Ihr so schnell wie möglich einen findet. Sonst eitert die Wunde.« Ich streckte ihm die Hand entgegen. »Kommt, ich helfe Euch auf Euer Pferd.«
    Er glotzte mich an. »Du lauerst mir auf, um Pfeile auf mich abzuschießen, und jetzt hilfst du mir aufs Pferd? Dann bist du wirklich einer von ihnen! Du bist genauso verrückt wie der alte Henry selbst!«
    »Still. Kein Wort mehr!« Ich packte seine Hand und riss ihn hoch. Er schrie auf, als ich seinen Fuß in den Steigbügel hob und ihn in den Sattel stemmte. Benommen ergriff er die Zügel und zog kräftig daran.
    Schon wieder der Hochmut in Person, wendete er das Pferd zu mir herum. Ich stellte mich seinem bösartigen Blick, in dem Wissen, dass er sich anschickte, mir eine Wunde zuzufügen, die noch viel tiefer war als alles, was ich mit einem Pfeil auszurichten vermochte.
    »Deine Mutter«, sagte er voller Häme, » ihre Mutter – sie hat dich heimlich auf die Welt gebracht, ehe sie am Kindbettfieber gestorben ist. Sie hatte keiner Menschenseele etwas von ihrer Schwangerschaft verraten, außer ihrer ältesten Tochter, der sie traute. Sie war verrückt vor Angst. Sie flehte ihre Tochter an, das Geheimnis zu wahren. Und sie verbarg ihre Schwangerschaft vor allen, sogar vor ihrem Mann, der damals fast das ganze Jahr am Hof verbrachte. Aber irgendetwas muss in diesen letzten Stunden geschehen sein. Mary von Suffolk muss sich der Hebamme anvertraut und etwas geäußert haben, das bei ihr Verdacht erregte, denn meiner Herrin wurde später mitgeteilt, du wärst eine Totgeburt gewesen. Sie lebte damals am Hof und gab den Befehl aus, dass man deine Leiche beseitigen und die Angelegenheit vertuschen solle. Hätte sie gewusst, dass du noch am Leben warst, wäre sie auf der Stelle den ganzen Weg von Whitehall hergeritten und hätte dich höchstpersönlich erdrosselt. Verstehst du, du könntest ihr alles nehmen – Landgut und Titel, ihren Rang am Hof und in der Thronfolge. Du bist der Sohn, den Charles Brandon sich ersehnt hatte, der Erbe des Herzogtums Suffolk. Denk gefälligst daran, wenn du das nächste Mal wieder einen Stall ausmistest.«
    Seltsam frei von jedem persönlichen Gefühl erwiderte ich: »Beim nächsten Mal verteile ich keine Almosen.«
    »Ich auch nicht«, entgegnete er. »Und wenn ich du wäre, würde ich zusehen, dass es kein nächstes Mal gibt. Denn sollte sie je herausfinden, dass du noch lebst, wird das für dich viel schlimmer sein als für mich.«
    Damit wirbelte er herum und galoppierte davon.
    Allein auf der Straße zurückgelassen, mit Blut bespritzt, sank ich auf die Knie.

FRAMLINGHAM
    25
    Jeder Mensch sollte wissen, woher er kommt .
    Cecils Worte hallten in meinem Bewusstsein wider, als ich durch die Stille ritt. Spätestens zur Dämmerung musste ich eine Stelle finden, wo Cinnabar sich über Nacht ausruhen konnte. Schließlich wählte ich eine Lichtung am Ufer eines seichten Bachs. Sobald ich Cinnabar von Sattel und Zaumzeug befreit hatte, rieb ich ihn mit einem Tuch ab und ließ ihn grasen. »Lass es dir gut gehen, mein Freund. Das hast du dir redlich verdient.«
    Ich setzte mich ins Farnkraut und holte das Schmuckstück mit dem Rubin an der Spitze heraus, das Mistress Alice mir gegeben hatte. Zunächst brachte ich es nicht über mich, es anzuschauen, denn nur zu eindringlich war mir seine Bedeutung bewusst. Ich spürte den Impuls, es wegzuwerfen, zu vergessen, dass es je existiert hatte, doch tief in meiner Seele war mir klar, dass ich es mir nicht länger leisten konnte, mich selbst zu täuschen.
    Wenn das, was Stokes mir eröffnet hatte, zutraf, konnte es kein Vergessen, kein Leugnen geben. Es war meine Aufgabe, die Wahrheit aufzudecken, mit ihr ins Reine zu kommen. Das schuldete ich mir selbst, nachdem ich in meiner Kindheit immer wieder über meine Herkunft gerätselt hatte; und – wichtiger noch

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