Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
wehrlosen Mann kaltblütig ermorden!«
Ich wartete. »Das ist schon mal ein guter Anfang. Ein Hurensohn. Bin ich das wirklich?«
»Ein Mörder bist du! Ich werde verbluten!«
»Nicht, wenn Ihr diesen Pfeil stecken lasst. Ihr braucht einen erfahrenen Chirurgen, der ihn Euch herausoperiert. Die Spitze hat einen Widerhaken. Ohne die richtige Pflege wird die Wunde schwären. Trotzdem sind Eure Aussichten zu überleben immer noch besser als die, die Ihr mir gelassen habt.« Ich senkte den Bogen. »Zurück zu meiner Frage: War meine Mutter eine Hure?«
»Das weiß ich nicht«, fauchte er, zitterte jedoch dabei.
»Ich glaube, das stimmt nicht.« Ich kauerte mich vor ihm nieder. »Die Herzogin schien es jedenfalls zu wissen. Sie hat das Muttermal an meiner Hüfte gesehen und war mit einem Mal gewillt, mich zu töten. Warum wünscht sie sich meinen Tod? Für wen hält sie mich?«
»Für wen genau?«, kreischte er und warf sich plötzlich mit einem gewaltigen Satz auf mich, sodass ich auf den Rücken fiel, er auf mir landete und der Pfeilköcher unter unserem Gewicht zerquetscht wurde. Mein Hinterkopf schlug auf dem Weg auf. Einen Moment lang zerschmolz die Welt um mich herum. Dann rammte ich ihm beide Knie in die Rippen und zerrte am Schaft des Pfeils. Kreischend ließ er von mir ab. Das aus der Wunde schießende Blut tat ein Übriges. Ich wälzte mich zur Seite und warf Stokes ab. Bevor er reagieren konnte, schnellte ich hoch und trat den Bogen aus seiner Reichweite. Mit gezücktem Dolch warf ich mich dann auf Stokes’ Rücken, sodass er nicht mehr hochkam. Wütend presste ich ihm die Klinge an die Kehle und drückte seine Wange in den Staub.
»Soll ich?«, zischte ich. »Soll ich Euch hier und jetzt abstechen und einfach verbluten lassen? Oder wollt Ihr mir sagen, was ich wissen will?«
»Nein! Nein! Bitte!«
Ich ließ ihn los. Keuchend blieb Stokes im Staub liegen. Aus seinem Bein sickerte Blut.
Mit einem Ruck drehte ich ihn auf den Rücken. Während ich die Klinge meines Dolchs an die Stelle hielt, aus der der Pfeil ragte, knurrte ich: »Ich verspreche Euch: Das wird wehtun. Und wenn ich die Spitze herausschneide, werden die Schmerzen schlimmer sein, als Ihr es Euch vorstellen könnt. Aber vielleicht sind sie weniger schlimm, wenn Ihr die Luft nicht anhaltet .«
Ich unterstrich meine Worte mit einem eisigen Lächeln. Schwarze Wut brach aus meinem Herzen hervor, eine plötzliche, unbeherrschbare Rachgier. Vor meinem inneren Auge sah ich erneut Stahl aufblitzen, sah ein verstümmeltes Wesen in sich zusammensacken. Eilig richtete ich mich auf und barg den Bogen.
Stokes starrte mich voller Entsetzen an, als ich einen unversehrt gebliebenen Pfeil entdeckte, in den Bogen legte und zielte. In panischer Angst wirbelte er herum – zu spät. Mit kalter Präzision schoss ich. Der Pfeil sirrte durch die Luft, verfehlte sein Ohr haarscharf und nagelte seinen aufgebauschten Umhang am Boden fest.
Sich heftig windend, zerrte er daran, in einem verzweifelten Versuch, sich von dem Pfeil zu befreien. »Ich gebe auf!«, kreischte er. »Ich sag dir alles, was du wissen willst. Schneid mich los, und scher dich dann zum Teufel!«
»Ich will eine Antwort auf meine Frage.«
Jäh stieß er ein irrsinniges Kichern aus. »Du Narr! Du bist völlig ahnungslos, was? Wir wollten dich ertrinken lassen und deine Leiche in den Fluss werfen, und du hättest nie erfahren, warum überhaupt.«
Ich presste die Zähne aufeinander. »Du wirst es mir verraten. Jetzt!«
»Na gut.« Pure Bosheit glomm in seinen verschlagenen Augen. »Du bist das letzte Kind der Herzogin Mary von Suffolk, der jüngsten Schwester von Henry dem Achten, die in ihrer Familie auch die Tudor-Rose genannt wurde. Dieses Muttermal, das du hast – du hast es von ihr geerbt, bist damit auf die Welt gekommen. Sie hatte es auch. Die Einzigen, die davon gewusst haben dürften, sind diejenigen, die mit der verstorbenen Herzogin eng vertraut waren.«
Mein Atem ging stoßweise. Ein Rauschen in meinen Ohren übertönte jedes Geräusch um mich herum. Während ich den Mann vor mir anstarrte, zogen in einer beängstigend präzisen Abfolge all die Ereignisse an mir vorbei, die mich zu dieser unfassbaren Begegnung hier und jetzt geführt hatten.
Mir stieg der Geschmack von Galle in die Kehle. »Soll das heißen, dass die Herzogin glaubt …?« Ich verstummte, brachte es nicht über mich, die Worte auszusprechen.
»Ich hab dir gesagt, was du wissen wolltest!«, rief Stokes hämisch.
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