Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
sehen. Stattdessen treibst du dich hier herum und handelst dir Ärger ein! Ist das etwa der Dank? Zahlst du mir so zurück, was ich alles für dich getan habe?«
Sein Tadel traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mir schwirrte der Kopf vor Verwirrung, obwohl ich geistesgegenwärtig genug war, mir nichts anmerken zu lassen, selbst als er mir gegen die Brust tippte und barsch befahl: »Rühr dich nicht von der Stelle. Ich bin gleich wieder zurück.«
Er schritt davon. Ich stand da und schnappte nach Luft. Angstvoll zitternd tastete ich nach meinem Hosenbund. Weiter unten, wo Haken und Ösen meinen Hosenlatz hielten, konnte ich die Stelle fühlen. Es bedurfte meiner ganzen Selbstbeherrschung, mich nicht sofort zu entblößen, um mich zu vergewissern, dass das nicht möglich sein konnte.
Die Rose – so hatte Mistress Alice es genannt. Sie hatte gesagt, es bedeute, dass ich gesegnet sei. Aber wie konnte Lady Dudley das wissen? Wie konnte sie etwas so Intimes entdeckt haben, das, wie ich glaubte, ausschließlich einem einsamen Jungen und einer fröhlichen Frau gehörte, die seine einzige Freundin in einer feindseligen Welt war? Und warum sollte sie dieses Wissen wie eine Waffe gegen jemanden einsetzen, der keinerlei Anlass hatte, sich darum zu scheren?
Zorn flammte in mir auf. Mistress Alice war aus meinem Leben verschwunden. Ich hatte nie aufgehört, um sie zu trauern, aber in diesem Moment hasste ich sie fast dafür, dass sie unsere Erinnerungen entweiht, unser Vertrauen geschändet hatte. Es ging nicht darum, dass Lady Dudley mein Geburtsmal zweifellos gesehen hatte, als ich ein Baby war, vielmehr kränkte es mich einfach, dass sie in etwas eingeweiht worden sein musste, das ich für mein und Mistress Alice’ heiliges Geheimnis gehalten hatte.
Ich schloss die Augen, zog die Hand aus der Hose und drückte sie auf mein heftig pochendes Herz. Als ich den Ring in der Brusttasche spürte, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich ernsthaft in Gefahr war, unversehens in eine Klemme zu geraten, aus der ich aus eigener Kraft nicht mehr heil herauskommen würde. Irgendetwas war hier im Gange, etwas Furchtbares. Ich wusste nicht, was es war, doch irgendwie war mir eine Rolle dabei zugefallen, ebenso wie offenbar auch der Prinzessin. Die Dudleys wollten uns beiden Böses. Und wenn ich einen Weg fände, sie zu warnen, würde sie vielleicht …
Ein Fanfarenstoß ertönte von der Galerie, und der Herzog erklomm das Podest. Es wurde still im Saal. Ich spähte zum Kamin, wo Elizabeth regungslos dastand. Die Herzogin von Suffolk hatte sich ebenfalls erhoben; als ich ihrem Blick begegnete, durchzuckte mich Angst, und ich versuchte, mich in der Menge unsichtbar zu machen.
Die Rede des Herzogs schallte durch den Saal. »Seine Majestät möchte all jenen seine Dankbarkeit aussprechen, die sich um seine Gesundheit gesorgt haben. Ich wurde ermächtigt, folgende Ankündigung zu machen.« Er ließ seinen Blick über die Reihen der Höflinge schweifen. »Seine Majestät ist ein wohlwollender Herrscher, doch er ist höchst ungehalten über die Gerüchte, die ihm zu Ohren gekommen sind. Ganz im Gegensatz zu gewissen ruchlosen Spekulationen befindet er sich längst auf dem Wege der Genesung. Auf Anraten seiner Ärzte hat er sich auf seinen Landsitz in Greenwich zurückgezogen, wo er sich besser erholen kann. Zum Zeichen seiner Gesundung möchte er uns wissen lassen, dass er der Eheschließung meines Sohnes, Guilford Dudley, mit seiner geliebten Cousine, Lady Jane Grey, seine allergnädigste Genehmigung erteilt hat. Die Verlobung wird morgen Abend in Greenwich gefeiert werden, wo Seine Majestät höchstselbst dem jungen Paar seinen Segen geben wird. Seine Majestät befiehlt, dass wir auf dieses freudige Ereignis anstoßen.«
Ein Page hastete vor, um dem Herzog einen Kelch zu reichen. Dudley reckte das Gefäß in die Höhe. »Auf die Gesundheit Seiner Majestät; möge er noch lange über uns herrschen. Gott schütze König Edward den Sechsten!«
Wie aufs Stichwort kamen Diener mit Tabletts voller Krüge herein. Die Höflinge stürzten sich darauf und hoben dann ebenfalls die Kelche. »Auf Seine Majestät!«, riefen sie einstimmig.
Northumberland kippte seinen Wein hinunter, stieg vom Podest und schritt aus dem Saal, die hohen Fürsten vom Kronrat in seinem Schlepptau. Aus meiner Deckung in der Menge sah ich Lady Dudley ihm ebenfalls folgen, neben ihr die finster dreinblickende Herzogin von Suffolk. Die Tochter der Herzogin, Jane Grey, ging
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